"Jüdischer Widerstand":
Ehrenvolle Armee im Dunkeln
Die Ausstellung "Jüdischer
Widerstand" im Deutschen Historischen Museum räumt mit einem
weit verbreiteten Vorurteil auf. Juden wehrten sich gegen den
Nazi-Mordplan auf vielfältige Weise und ließen sich nicht wie
"Schafe zur Schlachtbank" führen
Von Philipp Gessler
Es ist bloß ein Zufall - und passt doch
perfekt: Gestern wurden in der Hauptstadt zwei Ausstellungen zur
Judenverfolgung in der Nazizeit eröffnet, die sich in gewisser
Weise ergänzen und beide mit hartnäckigen und weit verbreiteten
Klischees oder Vorurteilen aufräumen: zum einen, dass die
normalen nichtjüdischen Deutschen nichts von der Ermordung der
Juden wissen konnten - diese Fehlinformation oder Lebenslüge
widerlegt die Schau "Vor aller Augen" an den Bauzäunen der
"Topographie des Terrors" (siehe unten). Die Ausstellung
"Jüdischer Widerstand" im Kronprinzenpalais Unter den Linden
belehrt zum anderen alle, die seit Jahrzehnten die scheinbare
historische Wahrheit nachplappern, die Juden hätten sich von den
Nazis ohne Gegenwehr "wie Schafe zur Schlachtbank" führen
lassen.
Es liegt eine Polemik in dieser Metapher,
vielleicht auch Scham: als hätten sich die sechs Millionen Toten
des Holocaust willenlos, ja willig hinschlachten lassen. Dabei
gab es einen vielfältigen Widerstand von Jüdinnen und Juden
gegen den deutschen Mordplan, wie die Ausstellung im
Ausweichquartier des Deutschen Historischen Museums
eindrucksvoll belegt: Hunderttausende von Juden nahmen als
Soldaten der alliierten Armeen und in den Widerstandsbewegungen
der besetzten Länder am Krieg gegen die Nazis teil. In den von
den Deutschen eroberten Gebieten Osteuropas kämpften rund 40.000
Juden in Partisanengruppen. In vielen Lagern und Ghettos gab es
Aufstände - die jedoch selten so berühmt wurden wie die
Rebellion der "Sonderkommandos" von Auschwitz-Birkenau am 7.
Oktober 1944 oder der Aufstand im Warschauer Ghetto, der am
19. April 1943 losbrach. So heldenhaft wie aussichtslos kämpften
dort rund 1.000 Jüdinnen und Juden gegen 3.000 SS-Leute,
Polizisten und ukrainische Hilfstruppen. Während die Nazis über
Panzer und Artillerie verfügten, hatte die jüdische Seite nur
etwa 2.000 Molotowcocktails, zehn Gewehre und zwei
Maschinenpistolen. Jeder jüdische Kämpfer besaß eine
Handfeuerwaffe - mit 10 bis 15 Schuss Munition.
Doch die Ausstellung, initiiert von der
internationalen jüdischen (Wohltätigkeits-)Organisation Bnai
Brith Europa, geht noch einen Schritt weiter: Sie schildert vor
allem den Widerstand "im Dunkeln", und zwar, mit Hilfe der
Ausstellungsgestaltung, im meist wörtlichen Sinne: Dazu gehören
etwa die jüdische Untergrundpresse, geheime Thora-Studien oder
illegale Gottesdienste in den Ghettos. Als Widerstandsakte
wertet die Ausstellung zudem alle Versuche von Juden, die
Vernichtung ihres Volkes zu dokumentieren - und sei es in Form
von vergrabenen Archiven, die den Prozess ihrer Verfolgung
dokumentierten. Und leistete nicht auch jener Rabbiner aus
Bedzin/Sosnowiec eine Form von Widerstand, als er "tanzend und
singend" in die Gaskammern von Auschwitz ging, wie ein Zeitzeuge
festhielt: "Er war würdig, für die Heiligung Seines Namens zu
sterben."
Die Historikerin Beate Kosmala, Mitarbeiterin am
Forschungsprojekt "Rettung von Juden im nationalsozialistischen
Deutschland" des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung,
betont im Einklang mit der Ausstellung: Das Sich-Verstecken wie
das Verstecken von Juden waren Widerstand. Sie erhofft sich von
der Schau Aufklärung für die vielen, die die ermordeten Juden
nur als "Schafe auf der Schlachtbank" sahen. Kosmala verweist
auf Abba Kovner, einem jungen Mann im Ghetto von Wilna, der auch
in der Ausstellung gewürdigt wird. Von ihm nämlich stammt die
Redewendung, die den jüdischen Widerstand lange Zeit so leicht
verdrängen ließ. Er rief Ende 1941 seine jüdischen Mitkämpfer
zum Aufstand auf: "Lasst uns nicht wie Schafe zur Schlachtbank
gehen! Es stimmt, wir sind schwach und schutzlos. Doch es gibt
nur eine Antwort auf das Verbrechen: Widerstand!"
Ausstellung "Jüdischer
Widerstand". Deutsches Historisches Museum, Kronprinzenpalais
Unter den Linden, täglich 10-18 Uhr außer mittwochs, donnerstags
bis 22 Uhr. Eintritt frei
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10-09-02 |