"Der Zug nach
Wien":
Krimi um die Rache eines
Überlebenden
Budapest
1944. Paul Singer, Mitglied des von den Nationalsozialisten gegründeten
Judenrates, gelingt es, seine hochschwangere Frau aus dem Land zu
schaffen. Doch der Zug, der sie und dreitausend weitere ungarische Juden
über die Grenze bringen soll, wird nach Auschwitz umgeleitet. Kein
Versehen, wie sich herausstellt. Paul Singer schwört Rache. Doch erst 55
Jahre später gelingt es ihm, den Verantwortlichen in Berlin ausfindig zu
machen.
Detlef Bluhm
schafft es mit seinem neuen Roman, einen hochspannenden Krimi vor dem
historischen Hintergrund der Besetzung Ungarns zu erzählen. Das Buch
beginnt mit dem Einmarsch der Deutschen in Ungarn und dem Einzug des
Sonderkommandos unter Adolf Eichmann in Budapest. SS-Oberstrumbannführer
Hermann Krumey veranlaßt die Bildung eines Judenrates und setzt sich
persönlich dafür ein, daß auch Paul Singer unter den Mitgliedern ist.
Dessen Frau Eva
ist von Anfang an gegen die Bildung eines Judenrates. Sie beharrt
darauf, daß es gefährlich ist, sich mit den Nazis an einen Tisch zu
setzen. Doch trotz aller Zweifel, Paul Singer muß sich zur Mitarbeit
bereit erklären und hofft dadurch an Zeit zu gewinnen. Auch sein Onkel,
Hofrat Ernö Kahan sieht darin eine kleine Chance: "Wir können uns
weigern, darin mitzuarbeiten. Doch was wäre damit gewonnen? Nichts. Sie
würden andere finden. Und gerade weil wir mehr wissen als andere, weil
wir keine Illusionen darüber haben, was nun vermutlich in Gang gesetzt
wird, genau aus diesem Grund dürfen wir uns nicht verweigern. Denn wir
lassen uns nicht täuschen. Wir kennen die Ziele des Sonderkommandos. Und
deshalb werden wir versuchen, Zeit zu gewinnen."
Dem Judenrat
gelingt es, die in seinem Besitz befindlichen sog. "Auschwitzprotokolle"
der beiden Slowaken Rudolf Vrba und Alfred Wetzlar, die aus Auschwitz
fliehen konnten und alles über die Zustände im Vernichtungslager
schriftlich festgehalten haben, ins Ausland zu schmuggeln. Die erhoffte
Hilfe der Alliierten bleibt jedoch aus.
Der Plan des
Judenrates, möglichst viel Zeit zu gewinnen, um die Deportationen durch
den Einmarsch der Russen verhindern zu können, schlägt fehl. Die
"Konzentrierung" der ungarischen Juden geht sehr schnell voran,
schneller als in anderen Ländern. Der Judenrat erhält schließlich gegen
eine hohe Summe an Bestechungsgeldern die Genehmigung, dreitausend Juden
in einem Zug nach Wien ausreisen zu lassen. Paul Singer kann seine Frau
ebenfalls auf die Liste setzen.
Aber es kommt
anders. Der Sohn des Obersturmbannführers, Werner Krumey, ein besonders
fanatischer Nazi, begleitet den Zug und entschließt sich, ihn an einem
Güterbahnhof zu vertauschen. Er fürchtete die Insassen des Zuges. Es
waren keine mutlosen, dem Schicksal ergebene Juden, sondern legten eine
in seinen Augen unverschämte Haltung an den Tag. Unter ihnen waren
Kaufleute, Rabbiner und Rechtsanwälte und Krumey ist sich sicher, daß
sie über die notwendigen Möglichkeiten verfügen, später, falls alles
schieflaufen sollte, Anklage zu erheben. Krumey läßt den Zug daher nach
Auschwitz umleiten. Eichmann interveniert nicht.
55 Jahre
später. Paul Singer hat durch eine abenteuerliche Flucht unter falschem
Namen überlebt. Die belastenden Unterlagen gegen Werner Krumey mußte er
in einem Koffer bei einem vermeintlichen Freund zurücklassen. Der konnte
dem Geld, das auch in dem Koffer war nicht widerstehen und nutzte es,
sich eine neue Zukunft aufzubauen. Paul Singer konnte Krumey daher nicht
aufspüren. Er stellte sein Leben in den Dienst des israelischen Mossad,
die eigene Rache kann er jedoch bis heute nicht vergessen.
Endlich scheint
der Moment gekommen, der verlorene Koffer ist wieder aufgetaucht. Paul
Singer fährt nach Berlin, um ihn entgegenzunehmen. Darin befindet sich
eine verschlüsselte Liste, die Krumeys neuen Namen verrät. Nach 55
Jahren trifft er den Mörder seiner Frau, gefolgt von Mossad und BND.
Doch auch ein anderes Kapitel seines Lebens klärt sich auf.
Bis zum Ende bleibt der Ausgang dieses Rachefeldzuges spannend. Detlef
Bluhm bettet diesen Krimi brilliant in den historischen Hintergrund
Ungarns und die gegenwärtige Situation in Berlin ein. Wenn auch die
Geschichte teilweise etwas zu sehr vertrickt scheint, einige
Familienverhältnisse weniger hätten nicht geschadet, ist "Der Zug nach
Wien" ein wahres Lesevergnügen. Trotz des bedrückenden Themas liegt
damit ein Krimi vor, den man einfach in einem Rutsch durchlesen muß.
Rezension von Andrea Übelhack
hagalil.com / 09-01-2002 |