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Ein Zwischenruf zum Weltfrauentag:
Getrennte Welten

Die Emanzipation im Alltag schreitet schneller voran als in der Religion

Von Gesa S. Ederberg

Da gibt es den Weltwassertag und den Weltschiffahrtstag, den Tag des Weltpostvereins und den Welttag der geistigen Gesundheit, den Welttag der Metereologie und den Welttag der Poesie. Doch eigentlich sollte ich ja etwas zum Internationalen Tag der Frau am 8. März schreiben! Ich dachte, es würde mir leichtfallen, mich zur Großwetterlage der Situation der Frauen im allgemeinen und besonders im Judentum zu äußern. Schließlich hat man (beziehungsweise frau) sich als Rabbinerin ja damit jahrelang auseinandergesetzt, angefangen von der Frage "gibt es das?" bis zur Frage "darf ich das denn überhaupt?"

Doch das Thema sperrt sich, bleibt unklar und ambivalent. Geht es an den Konfliktpunkten wirklich um die Frauenfrage? Oder müßte man nicht viel eher fragen: Was für ein Judentum haben wir, und was für eines wollen wir? In der Woche nach dem Internationalen Tag der Frau im Jahr 1911 waren bei einem Brand in einer Fabrik in New York einhundertsechsundvierzig meist jüdische Immigrantinnen umgekommen – schuld waren die fehlenden Brandschutzmaßnahmen, durch die die oberen Stockwerke eines Fabrikhochhauses zur tödlichen Falle wurden. Die anschließenden Protestmärsche wurden von Arbeiterinnen angeführt. Ihre Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen, Frauenwahlrecht und dem Verbot der Kinderarbeit prägten die Internationalen Frauentage für die nächsten Jahrzehnte.

Diese Forderungen sind – zumindest in unseren Breitengraden – seit Jahrzehnten erfüllt. Auf diesem Gebiet ist über jüdische Frauen in Deutschland eigentlich auch nichts besonders zu berichten. Sie sind berufstätig, haben auch innerhalb der jüdischen Strukturen Führungspositionen, balancieren, wenn sie Kinder haben, ihre verschiedenen Lebensbereiche genauso gekonnt und gestreßt wie nichtjüdische Frauen, immer mal wieder wird "die erste Frau" in einer Position gefeiert (wo – außer auf dem Mond – hätte "der erste Mann" schon Nachrichtenwert?). Ganz anders das Frauenbild in den Unterhaltungsmedien. Da buhlt in einer gern gesehenen Sendung zum Beispiel ein gutes Dutzend junger Frauen um einen vermeintlichen Millionär, der in Wahrheit ein einfacher Dachdecker ist. So als ginge es Frauen nur darum, möglichst gewinnbringend unter die Haube zu kommen. Dabei sind wir wirklich längst weiter.

Der vor hundert Jahren von Bertha Pappenheim gegründete Jüdische Frauenbund war von Anfang an Teil der allgemeinen Frauenbewegung. Das gemeinsame Anliegen: jungen Frauen den Weg in die Berufstätigkeit zu ermöglichen, einzuspringen, wo Familienstrukturen nicht mehr vorhanden waren. Jüdische Rechtsanwältinnen und Ärztinnen haben es mit den gleichen Themen zu tun wie ihre nichtjüdischen Kolleginnen. Und jetzt, wo überall Frauennetzwerke aus dem Boden sprießen, gibt es auch jüdische. Und ob die emanzipierte Mutter nun zu Purim oder zu Fasching mit Erschrecken feststellt, daß die Tochter eben gerne als Prinzessin und der Sohn gerne als der Bösewicht verkleidet sein möchte, kann es in beiden Fällen nicht an der Erziehung der modernen Mütter und Väter gelegen haben!

Erstaunlich anders sieht es im religiösen Bereich aus. Da finden sich Frauen meist willig mit der Zuschauerinnenrolle ab (soweit man von der Synagogenempore überhaupt etwas sieht) und akzeptieren es, von der Beteiligung am öffentlichen Gottesdienst ausgeschlossen zu sein. Eine Frau an der Bima scheint dieselben Gefühle auszulösen wie vor einhundertundfünfzig Jahren die Vorstellung, sich von einer Richterin verurteilen oder von einer Ärztin behandeln zu lassen! Immerhin streitet niemand den Frauen die Fähigkeiten ab, wohl aber die Berechtigung: Sie passen nicht in das überlieferte Bild vom Judentum, und dieses Bild soll bewahrt bleiben. Da ist dann die Rede von den unterschiedlichen Rollen von Männern und Frauen –und natürlich, wenn man es nur richtig betrachte, dann sei die Rolle der Frau fürs Judentum ja viel wichtiger und spirituell viel hochwertiger. Doch wie verträgt sich das mit dem Ausschluß der Frauen vom Zentrum des gemeinschaftlichen Gebets?

Anhand der Rolle der Frauen im Gottesdienst können die verschiedenen Strömungen im Judentum unterschieden werden – jedoch läßt sich bei den Beterinnen und Betern von orthodoxen Synagogen daraus nicht ablesen, wie sie zu Fragen der Gleichberechtigung in anderen Bereichen stehen. Das ist ein ganz neues Phänomen: daß die Synagoge, der öffentliche Gottesdienst, von der restlichen Lebenswelt abgekapselt wird, als eine Art Raumschiff neben dem Alltag schwebt. Dabei war es doch immer charakteristisch für jüdisches Leben, daß Religion und Alltag ineinandergreifen, daß der Alltag religiös geprägt ist, selbst wenn das manchmal schwer zu erkennen ist. Bertha Pappenheim hatte den jüdischen Frauenbund aus religiösem Interesse gegründet, das sich dann in Sozialarbeit umsetzte. Ganz wie Königin Esther, die, nachdem sie ihr Volk gerettet hatte, einen internationalen Tag des Essens und der Freude, des Geschenkeschickens und der Gaben an die Armen einführte.

Gesa S. Ederberg ist Gemeinderabbinerin in Weiden in der Oberpfalz und leitet das Masorti-Lehrhaus in Berlin.

Erschienen in: Jüdische Allgemeine, 4. März 2004

Jüdische Frauen und ihre Aktivitäten in Berlin
Maayan - Ein Lerncenter für jüdische Frauen

hagalil.com 10-03-04


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