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Critical Religious Studies:
Kritische Religionswissenschaft und Judaistik in England

Es waren der 11. September und seine Folgen, die einige DozentInnen an der Universität in Sussex, GB, zur Errichtung eines neuen Studiengangs veranlassten: ab dem Herbstsemester 2003 wird erstmals der Schwerpunkt "Critical Religious Studies" angeboten. Auf der Website werden Selbstverständnis und Ziele des Studiengangs formuliert:

… Religion ist ein integraler Bestandteil der Geisteswissenschaft und hat die westliche Tradition nicht nur durch Institutionen gestaltet, sie wirkt ebenso in Literatur und Kunst, Philosophie, in politischen und sozialen Bewegungen, sowie in kulturellen Traditionen und historischen Studien. Auf- und Niedergang religiöser Bewegungen formten die Ideen de modernen Periode und wirkten aktiv auf die Philosophie, Literatur, Kunst und Politik der Moderne. Im Gegensatz zur konventionellen akademischen Theologie ermöglicht das kritische religiöse Studium die Reflektion über soziale und politische Dimensionen der Religion in der modernen Welt.

Das neue MA Programm fördert eine unabhängige und kritische Annäherung an das Studium von Religion und ihre Einflüsse auf die Bereiche Macht, Geschichte, Sprache, des Denkens sowie von Gender und Kultur. StudentInnen haben die Möglichkeit die Beziehungen zwischen Religion und Kultur in einem akademischen Rahmen zu untersuchen und werden an die Hauptströmungen der Geschichte und Ideen des Judentums, Christentums und des Islam heran geführt – unabhängig von Glauben, Ethnizität und Gender.

Zum ersten Mal bietet die University of Sussex auch einen Magister- und Doktorantenstudiengang "Jüdisches Denken in Europa von der Aufklärung und Emanzipation zur jüdischen Philosophie des 20sten Jahrhunderts".

haGalil onLine sprach mit dem Initiator des Programms: Eric Jacobson, geboren in New York, studierte an den Universitäten Vermont und Jerusalem und promovierte in Berlin mit einer Arbeit über Walter Benjamin und Gershom Scholem (Columbia University Press, 2003).

haGalil: Angesichts des sich verstärkenden religiösen Fundamentalismus, der ein maßgeblicher Faktor des momentanen politischen Weltgeschehens ist, nehmen Diskussionen um die religiösen und philosophischen Werte der Religionen – aus unserer Perspektive hier in diesem Land, vor allem der monotheistischen, und natürlich des Judentums - auch in der Redaktion haGalil einen großen Raum ein. Wie entstand die Idee zu diesem Forschungsbereich?

Eric Jacobson: Die Universität Sussex hat eine lange Tradition der interdisziplinären Forschung und war in den 70er Jahren ein Fokus des politischen Aktivismus. In den 80er Jahren entstand hier vielleicht das bedeutendste Programm für die Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie in Großbritannien: "Social and Political Thought", das sich – und das bis heute – mit der Ideengeschichte der Frankfurter Schule in der ersten und zweiten Generation beschäftigt. In Zusammenarbeit mit Dozenten dieses Programms und des Chaplain, der fachlichen Seelsorge der Universität, entwickelten wir das Programm "Critical Religious Studies", welches auch auf den Horror des 11. September und seine Folgen antworten will. Inzwischen sind 22 Dozenten der Universität in einem breiten Spektrum von Geistes- und Sozialwissenschaften daran beteiligt.

Wir bieten sowohl Judaistik, vor allem Modern Jewish Thought, als auch Kurse in Mystik, neben der Kabbala werden auch christliche und islamische Strömungen behandelt. Es gibt Seminare über kritische Religionswissenschaft, über Religion und Politik im Nahen Osten – mit besonderem Interesse für die Themen Staat und Religion im Islam. Des Weiteren bieten wir Kurse in politischer Theorie und politischer Theologie.

Wir haben einen Magister- und Promotionsstudiengang aufgebaut, der einerseits die zentrale Rolle der Religion in der Kultur, andererseits die Fehlbarkeit aller Glaubensrichtungen untersucht. Dieses gehört zu einem kritischen Verständnis von Religion, die ein wesentlicher Bestandteil im Aufbau und Zusammenbruch der Zivilisation darstellt.

haGalil: Beide Aspekte, die Rolle der Religion - aber generell auch der Philosophie und politischer Glaubenssätze – in der Kultur und das Hinterfragen in ihrer historischen und aktuellen Funktion sind in der kritischen Theorie nicht voneinander zu trennen. Zumindest in einem Teil der sich politisch öffentlich äußernden studentischen Linken in der BRD setzt sich eine eher dogmatische Anwendung der kritischen Theorie durch, in der der zweite Aspekt keine sehr große Rolle mehr spielt.

Eric Jacobson: Die kritische Theorie hat eine ganze andere Bedeutung in der angelsächsischen Welt als hier in Deutschland. Adorno wird zum Beispiel weiter gelesen und die neuste Forschung ist vielleicht eher auf Englisch. Natürlich spielt auch Walter Benjamin weiterhin eine große Rolle. Eine dogmatische Entwicklung der Kritischen Theorie ist sicherlich ein Problem, zumal wenn man es aus der Perspektive der Religionswissenschaft betrachtet. Die alte marxistische Vorstellung von Religion als etwas Nebensächlichem ist immer noch eine Frage. Aber die neuen Entwicklungen unserer Zeit verlangen eine Auseinandersetzung mit der Religion, vor allem mit dem Fundamentalismus — ob im Weißen Haus oder in Jerusalem — und die neue Anwendung einer Kritischen Theorie muss versuchen, einen Antwort auch hier zu geben. Die Verbindungen zwischen Kritischer Theorie und Religionswissenschaft ist die Hoffnung einer "Kritischen Religionswissenschaft".

haGalil: Angeschlossen an das Programm gibt es ein "September 11 Fellowship". Ist schon absehbar, dass sich Studenten mit unterschiedlichen religiösen und kulturellen Geschichten für das Programm interessieren?

Eric Jacobson: Es gibt Interessenten verschiedener Religionen an dem Programm. Das Fellowship ist gedacht, vor allem Studierenden aus der Ferne, die es sich nicht unbedingt leisten können ein solches Studium zu finanzieren, die Möglichkeit zu geben, bei uns zu studieren. Wir sind im Gespräch mit der Jüdischen Gemeinde in GB, uns bei dem Aufbau des Fellowships zu unterstützen – und wir suchen natürlich weitere Unterstützer.

haGalil: Wie sieht es aus für deutschsprachige Studenten aus?

Eric Jacobson: Unser Programm ist für deutschsprachige Studenten sehr gut geeignet. Ich habe selber in Berlin im Fach Judaistik promoviert und auch andere unserer Dozenten haben in Deutschland studiert. Deutsche Studenten mit einem Abschluss des Grundstudiums können sich für das einjährige Magisterprogramm bewerben, auch das Promotionsprogramm ist für nicht UK-Bürger offen. Es gibt auch die Möglichkeit mit Austauchprogrammen bei uns zu studieren, sowie über das europaweite Erasmusprogramm.

haGalil: Gibt es vergleichbare akademische Initiativen bekannt in anderen west- oder osteuropäischen Ländern?

Eric Jacobson: Eine solche Initiative ist mir nicht bekannt. Es scheint die erste, die die Religion mit anderen relevanten Fächern der Geistes- und Sozialwissenschaft verbindet.

haGalil: Vielen Dank für das Gespräch und wir wünschen euch viel Erfolg!

Das Programm und Kursangebot inklusive Literatur für den Zeitraum Herbst- und Winter ist zu finden: www.criticalreligiousstudies.com

Das Gespräch führte Gudrun Schroeter

hagalil.com 04-06-03


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