Yeshiva
University New York:
"Deutschland ist immer noch meine Heimat"
Von Raphael Ahren
Erschienen in:
Schekker, Das Jugendmagazin
|
Fotos: www.newyork.de |
"Ich liebe New York. In dieser Stadt gibt es
einfach alles, was man zum Leben braucht. In meiner Klasse in
Hamburg wollten früher fast alle später einmal nach New York. Ich
bin der Einzige, der es tatsächlich geschafft hat," sagt Mikael
Kavian (21). Der gebürtige Hamburger ging nach seinem zweisprachigen
Baccalaureate-Abschluss nach New York an die Yeshiva University
(YU), um hier Management und Finanzwesen zu studieren. "Es war mir
immer klar, dass ich nach der Schule zur Yeshiva University gehen
werde.
Nur hier gibt es die Kombination von religiösen
und weltlichen Fächern, und ich möchte sowohl einen Abschluss von
einer guten Uni bekommen, als auch mehr über meine Religion lernen.
In Deutschland hat man nur wenig Gelegenheit, so etwas in
angemessener Tiefe zu studieren", so Mikael.
In New York leben mehr Juden als in Jerusalem
Einer der vielen Gründe, warum New York als eine
der schillernsten Metropolen der Welt gilt, ist sicherlich der hohe
jüdische Bevölkerungsanteil. In der Tat ist Big Apple die
"jüdischste" Stadt der Welt: jeder sechste New Yorker ist Jude,
insgesamt sind es genau 1,13 Millionen jüdische Einwohner. Damit
liegt die ostamerikanische Weltstadt sogar vor Jerusalem.
Dementsprechend findet man in New York Juden jeglicher Couleur; in
Brooklyn prägen vor allem die in schwarze Mäntel gehüllten
"ultra-orthodoxen" Chassidim das Stadtbild, während in den anderen
Stadtteilen Juden mit den verschiedensten Backgrounds und religiösen
Überzeugungen leben. Es gibt orthodoxe, konservative, liberale und
reformierte jüdische Gemeinden.
Und auch die nichtjüdischen New Yorker essen Bagel
mit Lachs, eine jüdische Spezialität, spötteln auf Jiddisch und
kennen sich in allen jüdischen Feiertagen bestens aus.
Am
Jom Kippur-Feiertag sind ganze Straßenzüge ausgestorben, Mazzot, das
Brot, dass zu Pessach, dem jüdischen Hauptfest gegessen wird, gibt
es in jedem Supermarkt, an Rosch Haschana, dem jüdischen
Neujahrsfest, werden die Straßen nicht gefegt und an allen jüdischen
Feiertagen sind — genauso wie an den christlichen — die öffentlichen
Schulen selbstverständlich geschlossen, an der New Yorker Börse
werden viel weniger Aktien gehandelt. New York und die New Yorker
Juden sind untrennbar.
Flaggschiff Yeshiva University
Im Norden Manhattans, im hauptsächlich von
Lateinamerikanern bewohnten Stadtteil Washington Heights, befindet
sich der Hauptcampus der Yeshiva University (YU). Das älteste und
größte jüdische Lehrinstitut Amerikas wurde vor 116 Jahren gegründet
und gilt seitdem als Flaggschiff des "modernen orthodoxen"
Judentums.
Die Yeshiva University ist nämlich eine reguläre
Universität und gleichzeitig eine traditionelle Jeschiwa; das
bedeutet, dass hier gleichzeitig religiöse jüdische und
weltlich-akademische Fächer gelehrt werden. Diese einzigartige
Lehrphilosophie, welche laut Prospekt "jüdische Gelehrsamkeit mit
akademischer Exzellenz in den Geistes-, Wirtschafts- und
Naturwissenschaften kombiniert", heißt auf Hebräisch Tora Umadda.
Studierende der Yeshiva University lernen
vormittags Tora; also Bibel, Talmud und jüdische Religionsgesetze,
während die zweite Hälfte des Tages ganz unter dem Zeichen der
"Madda" (Wissenschaft) steht. Es herrscht also ganz normaler
College-Alltag. Latein und Literatur, Steuerrecht und
"Entrepreneurship" (Unternehmensgründung) werden hier studiert sowie
Psychologie, Biologie und Informatik – und das auf höchstem
akademischen Niveau. Die Yeshiva University liegt laut einer Studie
des renommierten World Report Magazines auf Platz 40 aller
Hochschulen der Vereinigten Staaten. Bei über 1500 Hochschulen in
den USA keine üble Leistung.
Schläfenlocken
und Base Caps
In der YU trifft man deshalb auch nicht nur auf
"modern Orthodoxe", sondern auf Juden aus dem gesamten Spektrum der
Religion; von den Strenggläubigen, die noch die traditionellen
langen Schläfenlocken tragen, bis zu vollkommen säkularen, mit
Shorts und Baseball-Caps bekleideten Juden, die mit der Religion
wenig anfangen können. Das Prinzip der Pluralität wird in der YU
sehr ernst genommen, so dass niemand gegen seinen Willen genötigt
wird, an Gottesdiensten oder anderen religiösen Veranstaltungen
teilzunehmen.
Wochenende mit dem Rabbiner
Dennoch ist nicht jeder Student hundertprozentig
zufrieden mit seiner Uni: der riesige Bürokratieapparat wird
angeprangert, der manchmal zu einem echten Papierkrieg führen kann.
Auch die mangelhafte Ausstattung der Sporteinrichtungen und die
relativ schlechten Beziehungen zwischen Professoren und Studierenden
werden wiederholt kritisiert. Das Verhältnis zu den Rabbinern ist in
den meisten Fällen ausgesprochen gut; die religiösen Lehrer laden
Studentinnen und Studenten oft zu sich nach Hause ein und jedes
Wochenende bleibt ein Rabbiner auf dem Campus, um jeden Samstag mit
den Studierenden gemeinsam den Schabbat, den jüdischen "Sonntag" zu
feiern.
Damit die New Yorker Studentinnen und Studenten,
die zahlenmäßig die Mehrheit der YU bilden, den Schabbat mit ihren
Familien begehen können, finden von Donnerstagabend bis Montagmorgen
keine Vorlesungen statt. Diejenigen, die nicht fürs Wochenende nach
Hause fahren können oder wollen, sind dann zum Gottesdienst in der
universitätseigenen Synagoge und zum anschließenden feierlichen (und
natürlich streng koscheren) Essen in der Kantine mit dem Rabbiner
eingeladen.
Man spricht auch deutsch
Auf der YU trifft man aber nicht nur auf Juden mit
den verschiedensten religiösen Ansichten und Praktiken, sondern auch
aus den verschiedensten Kulturkreisen. Neben amerikanischen und
israelischen Studentinnen und Studenten zieht es auch Jugendliche
aus Italien, Südafrika, Iran, Burma, Norwegen, Venezuela oder
Marokko nach New York.
Natürlich
werden nationale Geflogenheiten auch in der Fremde bewahrt; so traf
sich der "Spanish Club" neulich zu einer Vorführung von "Evita" – in
spanisch, versteht sich – und die Studentenvereinigung der Iraner
lädt regelmäßig zum Dinner in einem persischen Restaurant.
Auch Mikael schätzt an Yeshiva University nicht
nur die "modern orthodoxe" Tora Umadda-Philosophie, sondern auch die
zahlreichen Programme, die außerhalb des offiziellen Stundenplans
angeboten werden. So war er für eine Saison in der
YU-Fußballmannschaft und nimmt Kurse an der Belz School of Jewish
Music, die der Yeshiva University angegliedert ist. Hier gibt es
auch "Voice Culture", also Kantoren-Kurse, in denen man lernt, die
jüdische Liturgie vorzutragen.
Wahre Freunde nur in Hamburg
"Obwohl
alle meine besten Freunde in Deutschland leben, sehe ich dort leider
keine Zukunft für mich als orthodoxen Juden", sagt Mikael. Er will
hier in New York bleiben und eine Familie gründen. In Yeshiva
University ist der Tag zweigeteilt in religiöse und säkulare Fächer,
aber im richtigen Leben müssen, so Mikael, diese Teilbereiche
konstant kombiniert werden, und das ist in Deutschland wegen der
vielen aufwändigen jüdischen Religionsgesetze noch nicht möglich.
Seine Eltern hätten es zwar erstaunlicherweise
geschafft, in Deutschland religiöse Kinder zu erziehen, aber Mikael
glaubt nicht, dass er in der Lage ist, dasselbe einmal für seine
eigenen Kindern zu schaffen. Trotz alledem ist Mikael noch lange
nicht zum Vollblut-Amerikaner mutiert: "Deutschland ist noch immer
meine Heimat und ich werde wohl immer wieder hierher zurück kommen,
wenn auch nur kurz zu Besuch…"
hagalil.com
04-08-03 |