hebräisch / deutsch: Hebräische
Internetbuchstaben erhalten Sie kostenlos.
Parschat Bereschit
Am Anfang war kein Ende
Einer der großen Romane in englischer Sprache beginnt mitten in
einem Satz. Warum? Weil der Autor eine kontinuierliche Geschichte
schreiben und mit einem einzigen Satz den Anfang mit dem Ende
verbinden wollte. Er wollte kein lineares, sondern ein zyklisches
Ganzes schreiben. Lineare Erzählungen haben einen klaren Anfang und
ein klares Ende, die sie eingrenzen. Hätte der Autor in unserem
Computerzeitalter gelebt, hätte er den Roman wahrscheinlich online
veröffentlicht und überall Links eingefügt, die den Leser auf
miteinander verschlungene Pfade geführt hätten.
Im Grunde imitierte der Autor die Struktur der Torah. Es ist
kein Zufall, dass in der ersten Zeile des Buches Adam und Eva erwähnt werden.
Vielleicht hätte der Autor den Roman auf einer Schriftrolle herausgeben sollen,
um eine größere Wirkung zu erzielen.
Letzte Woche haben wir wieder einmal den Glanz eines
kontinuierlichen Dokuments genossen: die Torah, die in der Tat kein Ende hat.
Die Schriftrollen (auf die wir längst hätten verzichten können, wenn sie nutzlos
wären) sollen uns die ewige Gültigkeit des Wortes vor Augen führen, das
unendliche Wissen und die Weisheit, die uns zur Verfügung steht. All diese Verse
in Rollenform stehen ständig miteinander in Verbindung.
Ein großer Teil der Freude beim Lesen der Torah besteht in der
spirituellen Reise, die wir dabei unternehmen. Aber wir freuen uns zugleich über
die Grundstruktur. Wie das Internet hat auch die Torah "Links", die uns an
verschiedene Orte führen. Sie ist also mehr als ein lineares Dokument.
In Bereschit sagt die Torah über die Erschaffung von Adam und
Eva: "Darum soll ein Mann Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhängen,
und sie werden ein Fleisch sein." Man könnte nun fragen: "Welche Mutter und
welchen Vater?" G–tt ist unser aller Vater; aber hier sind irdische Eltern
gemeint, die Adam und Eva gar nicht hatten.Später lesen wir: "Und G–tt der Herr
sprach: Siehe, der Mensch ist wie einer von uns geworden und weiß um gut und
böse." Welches Gute und welches Böse? Über die Mizwot wurde bisher nicht
gesprochen; gut und böse wurden also noch gar nicht definiert.Dies ist die
Geschichte des Anfangs: Wenn wir die Torah wie ein normales Buch lesen,
verstehen wir nicht, was mit "Eltern" und "gut und böse" gemeint ist. Aber genau
darum geht es beim Torah-Studium. Es ist nicht linear. Wir fangen nicht mit dem
ersten Vers von Bereschit an und hören am Ende von Dewarim für immer auf. Selbst
wenn wir auch die Schriften und die Propheten und den Talmud lesen würden, wäre
das Studium noch nicht beendet.
Jedes Mal, wenn wir die Torah lesen, lernen wir etwas dazu,
einerlei, wo wir anfangen, und auch dann, wenn wir einen Satz schon oft gelesen
haben. Und jeder Teil der Torah ist mit anderen Teilen verbunden, so dass wir
immer mehr "Aha-Erlebnisse" haben, wenn unser Wissen sich vertieft. Wenn wir von
den Generationen nach Adam und Eva lesen, erfahren wir mehr über die
Verantwortung der Eltern und Kinder. Wenn wir am Berg Sinai angekommen sind,
gewinnen wir mehr Einsicht in das Gute und Böse.
In diesem größten aller Bücher gibt es weitere ähnliche
Verbindungen. Die Haftarah-Abschnitte ergänzen jede Woche die Torah-Abschnitte,
und jeder Teil der Torah ergänzt jeden anderen.
Machen Sie einen Versuch: Lesen Sie Bereschit, und öffnen Sie
irgendeine andere Seite der Torah. Fragen Sie sich, ob es eine überraschende
Verbindung und eine zusätzliche Bedeutung gibt, bezogen auf das, was Sie eben
gelesen haben, und bezogen auf Ihr Leben. Die Antwort lautet ja! Denn so wurde
die Torah geschrieben. So ist die Torah.
Leitgedanken
"Und du nimm dir alle Nahrung, die gegessen wird ... sie diene
dir und ihnen zur Nahrung" (6:21).
Frage: Sind die Worte ascher jei’acheil ("die gegessen
werden") nicht unnötig?Antwort: Ursprünglich durften die Menschen nur Nahrung
essen, die in der Erde wuchs (1:29). Erst nach der Flut wurde Noach und seinen
Abkömmlingen erlaubt, das Fleisch von Tieren zu essen (9:3). Dem Rambam zufolge
war dies eine Belohnung für Noach, der sich um die vielen Tiere in der Arche
gekümmert hatte.
Die Worte "die gegessen werden" deuten darauf hin. Sie
beziehen sich nicht nur auf die Nahrung während der Flut, sondern auch auf die
Tiere, die in den vorigen beiden Pesukim genannt wurden: "Weil du diese Tiere in
die Arche bringst, wirst du mit all diesen Tieren belohnt, und sie werden zur
"Nahrung, die (künftig) gegessen wird. Du und deine Nachkommen dürfen nach der
Flut das Fleisch dieser Tiere essen."
Der Standpunkt des Rebbe
Gedanken und Einsichten des Lubawitscher Rebbe
Es gibt zwei Arten des Studiums: Einmal das Studium eines
statischen Objekts, der Vergangenheit, eines seit langem toten Gegenstandes.
Alles, was wir dafür brauchen, ist der kalte, harte Verstand. Zum anderen gibt
es das Studium eines dynamischen, lebenden Wesens. Um es kennen zu lernen,
müssen wir mit ihm leben, vor ihm demütig sein, sein Leben und seinen Geist
spüren. Die Wahrheit ist das höchste lebende Wesen.
Eine uralte Pfütze
"Dies sind die Bücher der Chronik des Menschen" (Bereschit
5:1).
"Reisch Lakisch sprach: Diese (Chronik) will uns lehren, dass
G–tt dem Adam jede einzelne Generation der Geschichte und ihre führenden Köpfe
gezeigt hat" (Talmud, Sanhedrin 38b).In jeder Jahreszeit zierte eine schmutzige
Pfütze den Weg zum bescheidenen Heim von Rabbi Mordechai Atinga, dem Rabbi von
Babroisk. Einmal erzähle er, wie die Pfütze entstanden war:
"Unsere Weisen sagen, dass G-tt dem Adam, dem ersten Menschen,
alle führenden Köpfe, Richter, Rabbis usw. aller Zeiten gezeigt hat. Als er
Boruch Mordechai, den Rabbi von Babroisk sah, meinte er abschätzig: Was, das
soll ein Rabbi sein? Aus seinem Speichel bildete sich diese Pfütze, die, wie ihr
seht, seit den Tagen Adams nicht ausgetrocknet ist."
hagalil.com
04-10-02 |