
"Schmeißt sie ins Meer!"
Von Andrea Böhm
US-Araber und -Juden wünschen sich gegenseitig innig das Schlechteste. Aber
nicht alle. Wieder andere warten auf Anthraxpflaster gegen Zellulitis. Grüße von
der Heimatfront
Wir hatten eigentlich schon das Stadium
des "Dont worry, be happy"-Krieges erreicht. Dass in Afghanistan noch gekämpft
wird, merkte man in den USA erst wieder letzten Donnerstag, als ein
US-Kampfflugzeug versehentlich kanadische Soldaten bombardierte. Vier Tote.
"Oops, sorry", funkte Washington nach Ottawa. Ansonsten widmet McDonalds die
Massenfütterung an der Heimatfront einen Monat lang den Streitkräften, was im
Originalton "Appreciation of the Armed Forces Month" heißt.
Die größte Erfolgsmeldung der letzten
Wochen kommt von einem anderen Schlachtfeld. Im Krieg gegen das Altern dürfen
Schönheitschirurgen jetzt mit dem Segen der Gesundheitsbehörden Biokampfstoffe
einsetzen, wie man sie in Saddams Giftküche findet. Botox heißt das
Wundermittel, in dem das Nervengift Botulin enthalten ist. Eine kleine Spritze
ins Gesicht lähmt Muskeln, glättet Falten und kostet 500 Dollar. Gut betuchte
Pensionäre hängen jetzt an der Nadel, bevor sie ihr frisch gebügeltes Profil
wieder Floridas Sonne aussetzen und Süßstofftütchen mit der Aufschrift "God
Bless America" in den Eistee schütten. Währenddessen surrt auf der Promenade der
Strandbus vorbei - bemalt mit Palmen und Kampfflugzeugen.
Sie glauben, ich denke mir das aus? Sie
irren. Ich habe es letzte Woche mit eigenen Augen gesehen, in Boca Raton, in
Fort Lauderdale und Miami, und will ja nur sagen: Dieses Land ist nicht
unterzukriegen. Saddam und Ussama können zusammenbrauen, was sie wollen, hier,
in America, gibt es demnächst Anthraxpflaster gegen Zellullitis.
Fast schien es also, der "Krieg gegen den
Terrorismus" würde ewig im Cruise-Control-Modus weiterlaufen, der
Geschwindigkeitsautomatik im Auto, gäbe es nicht das, was man euphemistisch den
"Nahostkonflikt" nennt. "Widerspenstige Mitspieler frustrieren Quarterback Bush
im Spielplan des Nahen Ostens", schrieb unlängst die New York Times, als dessen
Kommando "Ruhe da drüben!" in Jerusalem und Ramallah ungehört verhallte. Gereizt
sei der Präsident, der seit dem 11. September gewohnt ist, dass seine
Regieanweisungen prompt befolgt werden.
Inzwischen wühlt der Bürgerkrieg im Nahen
Osten auch die US-Wähler auf. Kein Wochenende ohne Demonstration in Washington,
San Francisco oder New York. Zehntausend demonstrierten vor dem Kapitol für die
Militäraktionen Israels. Letzten Samstag aber konterte eine Allianz von
Pazifisten, Globalisierungskritikern und Solidaritätskomitees für Palästina mit
einem Marsch gegen die Weltbank und für das Westjordanland. An den Universitäten
überschlagen sich Teach-ins, Sit-ins, Mahnwachen, Schweigeminuten und
Protestgesänge.
Meist stehen sie im Spalier. Auf der
einen Seite Studenten in schlabbrigen Jeans, Fleecejacken und
Palästinenserschals: "Stoppt die Besatzung"", steht auf ihren Schildern. Auf der
anderen Seite Studenten in schlabbrigen Jeans, Fleecejacken und den Käppchen,
die Jarmulke heißen: "Verteidigt Israel!" heißt es auf ihren Transparenten. Wer
beides möchte, steht dieser Tage auch in den USA ziemlich verloren da.
Allerdings läuft die Konfrontation hier
nach anderen Prinzipien ab als in Europa. Hier werden keine Synagogen angezündet
wie in Frankreich, keine jüdischen Passanten verprügelt wie in Deutschland.
Nicht dass es in den Vereinigten Staaten keinen Antisemitismus gäbe. Auf einem
Streifzug durch die Kaffeehäuser arabischer Immigranten in Paterson, New Jersey,
hören Sie garantiert aus irgendeiner Ecke die Parole "Schmeißt die Juden ins
Meer!". Umgekehrt empfehlen orthodoxe Juden in Brooklyn, selbiges mit den
Palästinensern zu tun.
Das Entscheidende ist die Reziprozität
solcher Widerwärtigkeiten. Minderheiten in den USA können sich beschimpfen und
beleidigen, aber eines dürfen sie nicht: symbolisch oder faktisch die Gewalt aus
ihren Herkunftsländern auf amerikanischen Boden bringen. Vielleicht sieht man
deswegen auf Demonstrationen in den USA keine Hamas-Sympathisanten, die ihren
Kindern Sprengstoffattrappen um den Bauch binden.
Folglich blicken die amerikanischen
Medien mal wieder irritiert auf Europa. Auf Deutschland, das Land des Holocaust,
wo Demonstranten Davidstern und Hakenkreuz gleichsetzen; auf Frankreich, dessen
politische Elite sich nicht so recht über antisemitische Gewalt aufregen will;
auf Italien, wo die Tageszeitung La Stampa einen Cartoon veröffentlicht, in dem
ein Jesuskind beim Anblick eines israelischen Panzers fragt: "Die wollen mich
doch nicht wieder umbringen?" Warum wundere man sich da, schrieb die New York
Times, wenn viele Israelis hinter europäischer Kritik an ihrer Regierung
Antisemitismus wittern?
Die Berichterstattung der US-Presse ist
übrigens keineswegs so israelfreundlich, wie man meinen möchte. Die Washington
Post geißelte die jüngsten Militäreinsätze. Die Fernsehbilder aus Dschenin, die
Reportagen aus Bethlehem und Ramallah lassen Präsident Bushs Ausspruch von
"Ariel Scharon als Mann des Friedens" wie blanken Hohn erscheinen. Den meisten
TV-Kommentatoren und "Nahostexperten" fehlt zwar der Mumm, das öffentlich zu
sagen. Aber hin und wieder taucht beim Zappen durch die Kanäle Zbigniew
Brzezinski, der ehemalige Sicherheitsberater im Weißen Haus mit dem grimmigen
Gesicht und dem Bürstenhaarschnitt, auf und wettert los: "Es gibt den
palästinensischen Terrorismus und es gibt die vorsätzlichen Überreaktionen von
Scharon, nicht um Terrorismus zu stoppen, sondern um die palästinensische
Selbstverwaltung zu destabilisieren und das Abkommen von Oslo auszuhebeln!" Und
auf CNN kommt nicht nur der unsägliche Benjamin Netanjahu zu Wort, sondern sie
zeigen auch jene Friedensaktivisten, darunter viele jüdische Amerikaner, die
Krankenwagen in die umkämpften Gebiete gelotst und sich als human shields vor
palästinensische Zivilisten gestellt haben.
In Ithaca, wo ich wohne, sind gerade
wieder zwei "Peaceniks" ins Westjordanland aufgebrochen, und beim Teach-in auf
dem Campus der hiesigen Cornell-Universität fragte eine arabisch-amerikanische
Journalistin die versammelten Studenten wütend, warum sie nicht längst auf der
Straße seien, um gegen das Leiden der Palästinenser zu demonstrieren.
Okay, die Frage ist: Welche Straßen? Was
wäre eigentlich, wenn man die Aktion der human shields auf Israel ausdehnen
würde? Tausend europäische Friedensdemonstranten - wenns geht, ohne
Palästinensertücher - in den Cafés von Tel Aviv, beim Sit-in am Busbahnhof von
Haifa, bei der Mahnwache in der Jerusalemer Altstadt. Wo sonst könnte man dieser
Tage besser gegen die Besatzung palästinensischer Gebiete protestieren und
gleichzeitig Israel verteidigen?
hagalil.com / 25-04-2002 |