Interview mit Hans-Ulrich
Wehler:
"Muslime sind nicht
integrierbar"
Interview Ralph Bollmann
Professor für "Allgemeine
Geschichte": Es ist die schönste Berufsbezeichnung, die ein
Historiker in Deutschland tragen kann. Ein Vierteljahrhundert
lang hatte Hans-Ulrich Wehler (70) diesen Lehrstuhl an der
Universität Bielefeld inne, die er zu einem Zentrum der
deutschen Geschichtswissenschaft machte. Als intellektueller
Kopf der "Bielefelder Schule" bekämpfte er eine altmodische
Politikgeschichte und propagierte den Blick auf
gesellschaftliche Strukturen. Demnächst will Wehler seine
"Deutsche Gesellschaftsgeschichte" mit einem Band über das 20.
Jahrhundert abschließen - und damit Wissenschaftsgeschichte
schreiben: Das Werk des verstorbenen Konkurrenten Thomas
Nipperdey endet mit dem Jahr 1918, und sonst hat sich noch kein
Kollege an ein solches Mammutwerk gewagt.
taz: Herr Wehler, Sie haben am 11. September
vorigen Jahres Ihren 70. Geburtstag gefeiert. Wie war es, als
Sie von den Terroranschlägen in den USA erfuhren?
Hans-Ulrich Wehler: Ich war in einem
abgelegenen Dorf auf Kreta, wo wir weder Radio noch Fernsehen
haben. Abends habe ich mit mit meiner Frau gut gegessen. Erst am
nächsten Tag erfuhren wir am Telefon von den Anschlägen.
Anschließend haben wir uns in einem Hotel die Fernsehbilder
angesehen. Ich wollte es zuerst nicht glauben.
Ein Jahr später treffen sich die deutschen
Historiker zu ihrem großen Fachkongress - und erst im letzten
Moment wurde eine Podiumsdiskussion über den 11. September
angesetzt. Wie kommt es, dass Ihre Kollegen das Thema beinahe
ignoriert hätten?
Das ist die Provinzialität der deutschen
Historikerzunft. Sie finden ohne weiteres zehn Experten für den
bayerischen Erbfolgekrieg. Aber wenn sie auch nur einen guten
Historiker suchen, der etwas über den Nahen Osten sagen kann -
dann wird es schon schwierig. In Amerika würde man sich im
History Department einer guten Universität ans Telefon setzen
und ein paar Leute aus Berkeley, Harvard oder Stanford
zusammentrommeln.
Was können speziell Historiker zu der Debatte
nach dem 11. September beitragen?
Sie können die ganze Diskussion in eine
historische Perspektive rücken. Der Islam ist die einzige
Weltreligion, die noch immer auffällig rasch expandiert. Er wird
das Christentum bald weit überholt haben. Es handelt sich um
einen militanten Monotheismus, der seine Herkunft aus der Welt
kriegerischer arabischer Nomadenstämme nicht verleugnen kann.
Wollen Sie damit sagen: Wir haben es
tatsächlich mit einem "Kampf der Kulturen" zu tun, wie der
US-amerikanische Politologe Samuel Huntington meint?
Die Kritik der Multikulti-Gutmenschen, die
Huntingtons Buch in den Orkus getan haben, kann ich überhaupt
nicht verstehen. Ich bezweifle, dass die Kritiker die 550 Seiten
wirklich gelesen haben. Es handelt sich um eine ganz nüchterne
Analyse, wo nach dem Ende des Kalten Krieges neue Konfliktlinien
auftauchen könnten. Das kann man nicht mit der linken Hand abtun
- nach dem 11. September erst recht nicht.
Beweist nicht die Bundesrepublik mit ihren
2,4 Millionen türkischen Einwanderern, dass ein friedliches
Zusammenleben funktionieren kann?
Das Beispiel zeigt, dass es eben nicht
funktioniert. Die Bundesrepublik hat kein Ausländerproblem, sie
hat ein Türkenproblem. Diese muslimische Diaspora ist im Prinzip
nicht integrierbar. Die Bundesrepublik ist seit ihrer Gründung
mit heute zehn Prozent Zugewanderten bravourös fertig geworden.
Aber irgendwann kommt eine Grenze, was man einer komplexen
Gesellschaft zumuten kann.
Und wie antworten Sie auf diese Frage?
Man muss das streng steuern. Alle
Einwandererländer haben nach einer Phase ungesteuerter
Einwanderung die Notbremse gezogen. Die Amerikaner und
Australier sogar mit ausgesprochen rassistischen Kriterien. Das
amerikanische Einwanderungsgesetz von 1922/23, das 40 Jahre lang
in Kraft war, enthält den Kunstbegriff der "Kaukasier". Das
waren sozusagen die blonden Weißen, die in hoher Quote einreisen
durften.
Plädieren Sie etwa dafür, auch bei uns solche
Kriterien anzuwenden?
Man soll sich nicht freiwillig Sprengstoff ins
Land holen. Ich habe hier zwei glänzende türkische Studenten.
Aber man muss das strikt trennen: persönliche Erfahrungen und
die Notwendigkeit einer strikten Steuerung.
Akademische Eliten lassen sich offenbar
problemlos integrieren. Ist die Integrationsfähigkeit eher eine
Frage des sozialen Status als der Religion?
In der Bundesrepublik kann man von einer
türkischen Elite kaum sprechen - abgesehen von dem berühmten
Touristikunternehmer Vural Öger und wenigen anderen. Die Türken
werden in einer Religion groß, die spezifische
Integrationsbarrieren bereitstellt. Die fundamentalistische
Strömung ist mehrheitsfähig, auch in der Türkei selbst.
Kann man diesen Trend stoppen, indem man die
westlich orientierten Kräfte durch die Aussicht auf einen
EU-Beitritt stärkt?
Dieses Argument grenzt an politischen
Schwachsinn. Europa ist geprägt durch die christliche Tradition,
durch die jüdisch-römisch-griechische Antike, durch Renaissance,
Aufklärung, Wissenschaftsrevolution. Das alles gilt auch für die
Beitrittsstaaten in Osteuropa. Aber es gilt nicht für die
Türkei. Man kann diese Kulturgrenze nicht in einem Akt
mutwilliger Selbstzerstörung einfach ignorieren. Obendrein würde
eine Aufnahme der Türkei den Europäern so famose Nachbarn wie
Syrien und den Irak bescheren.
Das Irakproblem will die US-Regierung
offenbar durch einem Krieg lösen. Wenn Sie im "Kampf der
Kulturen" eine derart große Gefahr sehen, befürworten Sie dann
auch einen solchen Angriff?
Gegen Drohkulissen habe ich nichts. Aber jetzt
wird offenbar ein Präventivkrieg vorbereitet. Ich kenne aus der
neueren Geschichte keinen einzigen Präventivkrieg, der zu dem
gesteckten Ziel geführt hat.
An welche Parallelen denken Sie?
Der Erste Weltkrieg ist vom deutschen
Großadmiral Tirpitz in einem Anfall von Nüchternheit als
deutscher Präventivkrieg bezeichnet worden. Man wollte die
Gefahr eines drohenden Zweifrontenkriegs entschärfen, indem man
Serbien demütigte und Russland zum Kuschen zwang. Das ist
grandios gescheitert.
Soll das heißen, Sie vergleichen die
Irakpolitik der USA mit der deutschen Kriegspolitik im Sommer
1914?
Die konkrete Konstellation ist anders, aber die
formale Struktur ist dieselbe: Man glaubt, eine Situation durch
Zuvorkommen zu entschärfen - durch "Praevenire", wie Friedrich
der Große gesagt hat. Es ist das schwachsinnige Kalkül, man
könne mit einem großen Militärschlag die politischen Probleme
lösen. Die Amerikaner sollten Clausewitz lesen: Der Krieg ist
nur ein Mittel, um politische Ziele durchzusetzen. Und es gibt
im Nahen Osten keine politischen Ziele, die einen weiteren
Golfkrieg legitimieren könnten.
Manche Amerikaner vergleichen Saddam Hussein
mit Adolf Hitler …
… und sagen: Wäre es doch zu einem
Präventivkrieg mit Hitler gekommen! Das hat aber wohlweislich
keiner geplant - wegen der Stimmung in den Staaten, die den
Krieg hätten führen müssen. In den europäischen Ländern, die
gerade den Ersten Weltkrieg ausgekämpft hatten, gab es eine
tiefe Friedenssehnsucht. Und Roosevelt hat selbst nach
Kriegsausbruch über zwei Jahre gebraucht, um die USA an die
Seite der Alliierten zu führen. Ob das ohne den japanischen
Angriff auf Pearl Harbor gelungen wäre, wissen die Götter.
So denken die Europäer heute auch. Aber waren
diese Überlegungen, im Nachhinein betrachtet, richtig?
Im Horizont der Zeit waren sie völlig korrekt.
Aus der Perspektive des Mai 1945 ist so gut wie alles
gerechtfertigt, um solche Menschheitsverbrechen zu unterbinden.
Aber das überforderte die Handelnden zwischen 1937 und 1939 ganz
gewaltig. Heute sind die Akteure allerdings nicht überfordert.
Alle Gegenargumente liegen auf dem Tisch.
Das sieht der Bundeskanzler auch so, und er
redet vom "deutschen Weg". Droht ein neuer Sonderweg?
Die Formulierung finde ich grauenhaft. Meine
Generation hat jahrzehntelang gegen den Sonderweg gestritten.
Der lange Weg nach Westen endete damit, dass sich die Deutschen
endlich im Westen wohl fühlten. Für Schröder geht es dabei nur
um die schäbige Ausnutzung einer Wahlkampfsituation, nicht um
eine reale Politikchance. Jeder weiß: Es gibt nur einen
europäischen Weg.
Aber dieser europäische Weg ist nicht der
amerikanische Weg?
Für die Europäer gibt es keine "Achse des
Bösen". Sie haben aus ihrer blutigen Geschichte gelernt, dass
pragmatische Bescheidenheit eine Tugend ist. Man kann Konflikte
einhegen, man kann sie zeitweise zähmen. Aber man wird nie den
ewigen Zustand friedfertiger Glückseligkeit erreichen. Diese
skeptische Tradition sollten wir verteidigen.
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11-09-02 |