Zur Verhandlung in Stadelheim:
Wer nicht fühlen will, muß hören?
Von Nikola
Friedrich
"Ich kann da nicht richtig folgen". Das waren die einzigen Worte, die
von Anton Malloth am ersten Hauptverhandlungstag zu vernehmen waren.
Ansonsten schwieg er zu allen Vorwürfen und daran hat er sich bis heute
gehalten. Regungslos- aber nicht teilnahmslos verfolgt er, ein greiser
Mann von 89 Jahren, Tag für Tag schweigsam die Verhandlung. Inzwischen
jedoch muß Anton Malloth zumindest folgen, denn seit dem zweiten
Hauptverhandlungstag trägt Malloth Kopfhörer. Das Bild, das sich einem
dadurch bietet, erinnert schnell an Bilder der Angeklagten im Nürnberger
Prozeß, denen dienten die Kopfhörer allerdings zur Übertragung der
Simultanübersetzung und nicht der Erhöhung der Lautstärke.
Es gibt aber noch anderes, was dem Nürnberger Prozeß aus dem Jahre
1945/46 ähnelt. So hatte Justice Jackson, Hauptankläger der Amerikaner,
in seiner Eröffnungsrede damals darauf hingewiesen, daß vieles der Taten
der Nazis durch Bücher und Aufzeichnungen belegt werden könne, da die
Deutschen von jeher peinlich genau in ihren Aktenaufzeichnungen seien
und aufgrund ihrer teutonischen Leidenschaft für Gründlichkeit, Dinge zu
Papier brächten. Diese deutsche Eigenschaft wurde auch am dritten
Verhandlungstag in Sachen Malloth relevant. An diesem Tag wurden
Urkunden verlesen. So dokumentiert beispielsweise eine Getränke- und
Essensliste, daß Malloth als Aufseher in der Kleinen Festung am 3. April
1940 abends drei kleine Weine zu sich genommen hat, ihm jedoch die Morde
und Greueltaten nachzuweisen, derer er angeklagt ist, wird dieser Prozeß
erneut versuchen müssen.
Beim Anblick des Angeklagten, wie er heute als alter und kranker Mann im
Rollstuhl sitzt, fällt es schwer, sich all die Grausamkeiten und
Brutalität vorzustellen, mit der er als Aufseher in der Kleinen Festung
gewütet hat. Aber die Zeugen belasten ihn stark und die Eindringlichkeit
mit der sie die Dinge schildern, die in der Kleinen Festung vorgefallen
sind, läßt an der Authentizität nicht zweifeln.
So erzählt der Zeuge Albert M., daß er 1944, als er in der Kleinen
Festung inhaftiert wurde, Instruierungen erhielt, wie er sich als
Häftling zu verhalten habe. Die Anweisungen wurden mit dem Satz
untermauert: "Hier kannst Du Dein Leben lassen, auch wegen eines
Blumenkohls". Dieser Vorfall gehört zu den Anklagepunkten, die Malloth
zur Last gelegt werden. Der Zeuge M. ist es auch, der mit eigenen Augen
beobachtet hat, wie Malloth einen Häftling mit zwanzig Stockschlägen
erschlug und ohne die Lebenszeichen überprüfen zu lassen, in die
Leichenkammer bringen ließ.
M. erzählt am Ende des achten Verhandlungstages, warum das Datum des 2.
Mai, der Tag, an dem er das erste mal in diesem Prozeß aussagte, für ihn
eine große Bedeutung hat: Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges am 27.
April 1945 hatte Ernst Kaltenbrunner, Chef des
Reichssicherheitshauptamtes und somit zuständig für die Gestapo, einen
Befehl in der Kleinen Festung unterschrieben, nachdem alle weiteren
Hinrichtungen bis auf weiteres verboten wurden. Zu diesem Zeitpunkt
befand sich der vierte Hof der Kleinen Festung aufgrund einer
ausgebrochenen Epidemie von Typhus und Fleckfieber unter Quarantäne und
durfte von niemandem mehr betreten werden. Bevor der Zeuge weiterfährt,
bittet er noch einmal inständig, ihm nun aufmerksam zuzuhören: Denn
obwohl schwarz auf weiß das Verbot weiterer Hinrichtungen vorlag und
obwohl der vierte Hof wegen Ansteckungsgefahr nicht betreten werden
durfte, konnten an diesem 2. Mai zwei „Helden“ gefunden werden, die
"erfüllt von einem großen Haß" sich bereit erklärten, 55 Männer und drei
Frauen aus dem vierten Hof herauszutreiben, damit sie anschließend
hingerichtet werden konnten. Einer dieser "Helden" war Anton Malloth.
Während der Verhandlungstage wird die Diskrepanz zwischen dem
geschilderten Leid, das die Zeugen als Häftlinge erfahren mußten, und
den juristischen Terminologien, die dieses Leid begrifflich und sachlich
zu fassen suchen, offenkundig. Im Kreuzverhör durch den Staatsanwalt und
den Verteidiger werden Zeitangaben und die genauen Umstände wichtig: Gab
es einen Befehl oder handelten die Aufseher eigenständig? Waren sie
angetrunken oder nicht? Wie viele Aufseher waren bei den einzelnen
Verbrechen beteiligt? Widersprüche zu früheren Aussagen werden
beleuchtet.
Aber trotz kleiner Ungereimtheiten, bleiben die Vorwürfe bestehen. Zeuge
Richard L. wendet sich während des Kreuzverhöres an das Gericht, indem
er sagt: "Die Schilderungen des Tatvorgangs wurden vielleicht durch
Worte abgewandelt. Es bleibt aber Tatsache, daß es geschah".
Diese Faktizität bekräftigt auch der Vorsitzende Richter Dr. Hanreich,
nachdem er sich beim Zeugen L. für sein Kommen bedankte. Man hätte schon
so viel gehört über die Konzentrationslager und die Greueltaten des
Dritten Reiches, sagt er zum Zeugen, aber "wenn man einzelnes hört, hat
man den Eindruck zu fühlen, was da passiert ist".
Denn wer hören will, kann eben auch fühlen.
Die Autorin studiert Philosophie und
Jura und promoviert derzeit über Menschenrechte und
Menschenrechtsverletzungen
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zum Fall Anton Malloth:
haGalil onLine
14-05-2001 |