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Neuer Name - neues Konzept:
Wehrmachtsausstellung in Berlin eröffnet

Von Andrea Übelhack

Keine Ausstellung hat in Deutschland so viel Furore gemacht wie die sog. "Wehrmachtsausstellung". Die Schau war zwischen 1995 und 1999 in 33 Städten gezeigt worden und hatte immense Besucherzahlen (700.000) vorzuweisen. Allein in München kamen über 90.000 Menschen, um die umstrittene Ausstellung zu sehen. Umstritten, weil sie sich an das Tabu der "sauberen Wehrmacht" gemacht hatte und damit eine hitzig geführte Debatte vom Zaun brach.

"Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-44" lautete der Titel dieser ersten Wehrmachtsausstellung, die 1999 stillgelegt wurde, weil ihr Mängel bei Recherche und Beschriftung der Fotos nachgewiesen werden konnten. Doch zu dieser Zeit war die Debatte schon lange in vollem Gange. Den Höhepunkt erreichte diese Debatte, als die Ausstellung 1997 in München gezeigt werden sollte und Peter Gauweiler von der CSU Gift und Galle spuckte.

Es geht den Veranstaltern darum, "Millionen von Deutschen die Ehre abzusprechen", konnte man im Bayernkurier lesen. "Daniel Goldhagen wird sich freuen und mit ihm alle, denen es eine Lust ist, Deutschland und die Deutschen pauschal zu verurteilen", schrieb Florian Sturmfall am 20.2.97. Die Debatte um die Ausstellung fiel tatsächlich in die gleiche Zeit wie auch die Diskussion Daniel Goldhagens "Hitlers willige Vollstrecker". Man kann von diesem Buch halten, was man will, die methodischen Schwächen wurden längst nachgewiesen, auch hier ist die Debatte symptomatisch. In beiden Fällen geht es um die Schuld von ganz "normalen" Männern und Frauen, die Beteiligung "aller" Deutschen am Massenmord der Juden.

Bei der Wehrmachtsausstellung wurde dies jedoch nur hinein interpretiert. Die Ausstellungsmacher haben niemals von einer Kollektivschuld gesprochen, wiesen die Behauptung, alle Soldaten sollten pauschal verurteilt werden, vehement zurück. Und dennoch kam es in München zur größten Demonstration des Neofaschismus seit den 70er Jahren. Oberbürgermeister Christian Ude betonte in seiner Eröffnungsrede nochmals, dass es sich nicht um eine Pauschalverurteilung handele, von Kollektivschuld sei niemals die Rede gewesen, es gebe "kein Tribunal gegen die ältere Generation".

1997 wurde die Debatte allerdings noch relativ inhaltslos, rein auf emotionaler Ebene, geführt. Die konkreten Vorwürfe gegen die Ausstellungsmacher in Bezug auf Fehler bei der Beschriftung der Fotos wurden erst zwei Jahre später durch zwei ungarische Historiker, Bogdan Musial und Krisztian Ungvary, aufgedeckt. Beide bestreiten die Grundaussage der Ausstellung über die Beteiligung der Wehrmacht an Verbrechen nicht, konnten jedoch falsche Fotos und Darstellungsweisen aufzeigen.

Damit ist die Hauptproblematik der alten Ausstellung angesprochen. Denn auch wenn die Macher immer wieder betonten, dass die Bilder nur zur Illustration gelten, hing an ihnen die große emotionale Wirkung der Ausstellung. Die Schwierigkeiten bei der Darstellung von Bildern als historische Quelle wurden nicht ausreichend berücksichtigt.

Trotz der inhaltlichen Schwächen hat die Ausstellung doch eine wichtige Funktion erfüllt: sie hat eine breite Debatte in der Öffentlichkeit angeregt, die einen nicht neuen, doch ungeliebten Diskurs in die Medien brachte. Tatsächlich haben die Unstimmigkeiten bei der Beschriftung der Fotos die Popularität der Ausstellung nur erhöht. Oder wie es ein Besucher in München im Gästebuch ausdrückte: "Ich wäre ohne die wütende Kampagne von H. Gauweiler wohl nicht gekommen, da mir die Ausstellung allzu unerfreulich war. Aber nach alldem mußte ich einfach herkommen. Alles Gute und viel Erfolg."

Jan Philipp Reemtsma zog schließlich die Konsequenzen aus der Diskussion und zog die Schau zurück. Ausstellungsmacher Hannes Heer mußte gehen, eine Historikerkommission überprüfte die Exponate. Im Bericht der Kommission heißt es, die Ausstellung enthalte "1. sachliche Fehler, 2. Ungenauigkeiten und Flüchtigkeiten bei der Verwendung des Materials und 3. vor allem durch die Art der Präsentation allzu pauschale und suggestive Aussagen". Es seien jedoch "keine Fälschungen im Sinne der leitenden Fragestellungen und Thesen" festzustellen.

Die Kommission empfahl eine gründliche Überarbeitung, deren Ergebnis seit heute in Berlin zu sehen ist. Schon der neue Name "Verbrechen der Wehrmacht - Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944" ist ein Hinweis auf die veränderte Konzeption. Denn die neue Schau ist keine Überarbeitung oder Korrektur der alten Ausstellung, sondern eine inhaltlich neu konzipierte und völlig anders strukturierte Präsentation. Sie hält jedoch fest an der These, daß die Wehrmacht als Institution während des Zweiten Weltkrieges an der Planung und Durchführung eines beispiellosen Rassen- und Vernichtungskrieges umfassend beteiligt war.

Während die erste Ausstellung drei Kriegsschauplätze zeigte, konzentriert sich die neue auf den Krieg im Osten, "geht dabei aber deduktiver und analytischer vor und präsentiert viel mehr Details", wie Reemtsma betont. Insgesamt werden dabei sechs Dimensionen des mit Wehrmachtsbeteiligung geführten Vernichtungskrieges gezeigt: darunter Völkermord an den sowjetischen Juden, sowjetische Kriegsgefangene und der Krieg gegen die sowjetische Zivilbevölkerung. Daneben dokumentiert die Ausstellung die Rekrutierung und Deportation Millionen von Zwangsarbeitern und die völkerrechtswidrige Anwendung von "Sühnemaßnahmen", wie sie insbesondere in Serbien und Griechenland durchgeführt wurden.

Auch die neue Ausstellung ist keine pauschale Anklage gegen alle Wehrmachtsangehörigen. Sie stellt jedoch anhand einzelner exemplarischer Ereignissen, sog. "Handlungsspielräume" die Mitwirkung der Wehrmacht dar. Den Besuchern werden acht persönliche Geschichten vorgeführt, die die unterschiedlichen Reaktionen der Soldaten, von der kompromisslosen Ausführung des Befehls bis zur Befehlsverweigerung, zeigen. Tatsächlich zeigt sich, dass die Befehlsverweigerung keine Repressalien nach sich zog. Es ist kein einziger Fall nachweisbar, bei dem die Weigerung, sich an einem Kriegsverbrechen zu beteiligen, dazu führte, "an die Wand gestellt" zu werden.

Ein neuer Aspekt der Ausstellung befasst sich mit dem Umgang mit der Wehrmacht in der Bundesrepublik und der DDR nach 1945. Der Ausflug in die Nachkriegszeit thematisiert die Nürnberger Nachfolgeprozesse, die Strafverfolgung in der Bundesrepublik und der DDR, sowie die Integration ehemaliger Wehrmachtsoffiziere in die Institutionen in Ost und West. In diesem Zusammenhang wird auch die Debatte um die Vorgängerausstellung dargestellt.

Es bleibt abzuwarten, wann aus dem neokonservativen und rechtsradikalen Lager neue Geschütze aufgefahren werden. Durch die gründliche Überarbeitung, die auch Kritiker wie Reinhard Rürup, Leiter der "Topographie des Terrors" überzeugen konnte, ist den Gegnern in jedem Fall der Wind aus den Segeln genommen. Es gibt nun zwei Möglichkeiten. Entweder findet man sich mit den historischen Tatsachen der Schau ab, oder aber, und das ist wesentlich wahrscheinlicher, man kehrt zur emotionalen Ebene der Diskussion zurück, hält Transparente von Wehrmachtssoldaten (Einen Besseren findest Du nicht!) hoch und lässt die NPD aufmarschieren.

Ausstellungsort:
28. November 2001 - 13. Januar 2002
Kunst-Werke Berlin e.V., Auguststr. 69, 10117 Berlin

Öffnungszeiten:
Di - Do 10-18 Uhr und Fr - So 10-20 Uhr
(geschlossen 24./25.12.01 und 1.1.02)

Das Begleitprogramm zur Ausstellung kann HIER heruntergeladen werden.

 hagalil.com / 28-11-2001

 


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