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Rehabilitierung im Fall Hilsner:
Anfrage an österreichischen Minister

Im folgenden lesen Sie ein Anfragebeantwortung durch den österreichischen Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer zu einer schriftlichen Anfrage der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits  betreffend die noch nicht erfolgte Rehabilitierung des letzten bekannten Opfers einer Verurteilung auf Grund behaupteten Ritualmords in Österreich, Leopold Hilsner.

Der Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdörfer:

"Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend "die noch nicht erfolgte Rehabilitierung des letzten bekannten Opfers einer Verurteilung auf Grund behaupteten Ritualmords in Österreich, Leopold Hilsner" gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zum Ablauf des gegen Leopold Hilsner geführten Strafverfahrens halte ich zunächst fest, dass nach den mir vorliegenden Informationen das am 16. September 1899 vom Schwurgerichtshof in Kuttenberg gefällte Todesurteil vom Obersten Gerichts- und Kassationshof nicht bestätigt, sondern mit Beschluss vom 25. April 1900 aufgehoben und die Strafsache zur neuerlichen Verhandlung vor das Schwurgericht in Pisek verwiesen worden ist. 

In der Folge wurde zwar der Vorwurf des Ritualmordes fallen gelassen, das Schwurgericht in Pisek fällte jedoch am 14. November 1900 nach siebzehntägiger Hauptverhandlung neuerlich ein Todesurteil, das mit Entscheidung des Obersten Gerichts- und Kassationshofes vom 23. April 1901 in Rechtskraft erwuchs.

Eine Befassung mit dieser Strafsache anhand einschlägiger Akten ist aus folgenden Gründen schwierig:

Die ursprünglich sehr zahlreichen Akten des k.k. Justizministeriums betreffend Leopold Hilsner wurden im Zuge der Aktenliquidierung nach dem Ersten Weltkrieg an die Tschechoslowakische Republik abgetreten. Zurückgeblieben ist nur ein 45 Folien umfassender Akt, der aus dem Vortrag des Justizministers an Kaiser Franz Joseph besteht und eine ausführliche Schilderung der Strafsache sowie den Vorschlag, das Todesurteil gnadenweise in eine Gefängnisstrafe umzuwandeln, enthält. 

Des Weiteren findet sich in diesem Akt die von Kaiser Franz Joseph unterzeichnete allerhöchste Entschließung vom 11. Juni 1901 mit der vorgeschlagenen Begnadigung.

In die in Frage kommenden Bände der Entscheidungssammlung des k.k. Obersten Gerichts- und Kassationshofes wurden die Leopold Hilsner betreffenden Entscheidungen nicht aufgenommen. Vermutlich in den Jahren 1938 oder 1939 wurden die damals im Aktenlager des Obersten Gerichtshofs noch vorhandenen Zivil - , Straf - und Disziplinarakten zum Reichsgericht nach Leipzig verlagert. Diese Akten sind im Zuge der Kriegshandlungen im Jahre 1945 vernichtet worden.

Im Vertrag von Saint Germain wurde zwar im Verhältnis zur Tschechoslowakischen Republik das Schicksal vor allem anhängiger Verfahren, die das Gebiet dieses Staates tangiert haben und vor österreichischen Gerichten geführt wurden, nicht ausdrücklich geregelt, auf das bereits vorhandene Archivmaterial war jedoch jedenfalls das Übereinkommen zwischen der Republik Österreich und der Tschechoslowakischen Republik, betreffend die Durchführung einzelner Bestimmungen des Staatsvertrages von Samt Germain - en - Laye, StGBI 1920/479, anzuwenden. 

Ob nach Ende des Ersten Weltkriegs ein beim Obersten Gerichtshof vorhandener Akt auf Grund dieses Vertrages an die Tschechoslowakische Republik übergeben wurde, lässt sich nicht mehr nachvollziehen, weil Akten aus dieser Zeit jedenfalls nicht mehr vorhanden sind.

Davon ausgehend beantworte ich diese Fragen wie folgt:

Zu 1:

Der Fall Leopold Hilsner wurde dem Bundesministerium für Justiz durch eine von Dr. Peter Vasicek verfasste, an den Herrn Bundespräsidenten gerichtete und mit 1. Mai 1999 datierte Eingabe bekannt, die im Bundesministerium für Justiz am 17. Mai 1999 einlangte. Die daraufhin durch die zuständige Fachabteilung vorgenommene Prüfung des Ersuchens des Einschreiters um Rehabilitierung von Leopold Hilsner führte zu dem in meiner Antwort zu den Fragen 2. bis 4. dargestellten Ergebnis.

Zu 2 bis 4:

Dieses Gutachten des Tschechischen Justizministeriums ist mir nicht bekannt. Ich kann daher zu dort vertretenen Ansichten nicht Stellung nehmen. Ausgehend von den dem Bundesministerium für Justiz zur Verfügung stehenden Informationen über die Strafsache gegen Leopold Hilsner stellt sich die Rechtslage folgendermaßen dar:

Auf Grund des § 1 des Gesetzes vom 25. Jänner 1919 betreffend die Errichtung eines Obersten Gerichtshofes, Staatsgesetzblatt Nr.41, ist dieser Gerichtshof an die Stelle des ehemaligen österreichischen Obersten Gerichts - und Kassationshofes getreten und hat dessen Aufgaben übernommen. Der Oberste Gerichtshof ist somit eine neue Staatseinrichtung und keine von der Republik Österreich übernommene Behörde der früheren Monarchie. 

Deshalb kann aus der Befassung des Obersten Gerichts- und Kassationshofes mit der Strafsache gegen Leopold Hilsner eine (weitere) Zuständigkeit der österreichischen Justizbehörden nicht abgeleitet werden.

Lediglich der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass sonst allenfalls denkbare strafprozessuale Instrumente, Urteilen des Obersten Gerichts - und Kassationshofes formell die Grundlage zu entziehen, im vorliegenden Fall nicht zur Verfügung stehen:

Eine Wiederaufnahme zugunsten des Angeklagten ist zwar auch nach dessen Tod zulässig (§ 354 StPO), wäre jedoch gegebenenfalls beim Gericht I. Instanz zu beantragen. Insoweit liegt die Zuständigkeit im Bereich der tschechischen Justizbehörden. Auch eine außerordentliche Wiederaufnahme nach § 362 StPO ist schon deshalb nicht möglich, weil dem Urteil des Obersten Gerichts - und Kassationshofes vom 23. April 1901 kein inländisches Strafverfahren mehr zugrunde liegt.

Eine Zuständigkeit der österreichischen Justiz für die angestrebte Rehabilitierung von Leopold Hilsner ist auf Grund der österreichischen Rechtslage somit nicht gegeben.

Zu 5:

Sollte es zutreffen, dass die erstinstanzlichen Urteile gegen Leopold Hilsner in der Tschechischen Republik aufgehoben worden sind, so könnte den Bemühungen um die Rehabilitierung von Leopold Hilsner von österreichischer Seite insofern Rechnung getragen werden, als eine solche Annullierung nach österreichischem Recht als Wiederaufnahme (und nachfolgende Einstellung) des Verfahrens gegen Leopold Hilsner gewertet werden könnte, wodurch die Entscheidung des Obersten Gerichts - und Kassationshofes vom 23. April 1901 gegenstandslos wäre.

Ich habe daher mit Schreiben vom 5. Juni dieses Jahres meinen tschechischen Amtskollegen ersucht, mir die in diesem Zusammenhang relevanten Akten bzw. Aktenteile zukommen zu lassen bzw. sonstige ihm geeignet erscheinende Veranlassungen zu treffen, um mir die Überprüfung dieses auch an mich herangetragenen Vorbringens zu ermöglichen.

Sollte die Aufhebung der erstinstanzlichen Urteile anhand amtlicher tschechischer Unterlagen verifiziert werden können, nehme ich die Abgabe einer formellen Erklärung im oben dargestellten Sinn in Aussicht."

Hintergrundinformationen:

haGalil onLine 20-09-2001

 


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