
Interview mit Shmuel
Bahagon:
"Niemand ist Gottes Repräsentant"
Die Union progressiver Juden
fordert Anerkennung und finanzielle Unterstützung durch den
Zentralrat
Interview: Philipp
Gessler
taz: Herr Bahagon, der
Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, sprach gestern
von einem "historischen Tag" - war er das auch für Sie?
Shmuel Bahagon:
Paul Spiegel hat einen guten Willen. Er hat mit dem historischen
Schritt des Staatsvertrags etwas sehr Positives für die Juden getan.
Aber niemand von uns hat ein Zertifikat von Gott, sein Repräsentant
zu sein. Wir progressiven Juden kämpfen seit Jahren darum, anerkannt
zu werden. Das progressive Judentum ist weltweit die Hauptbewegung
des Judentums dieses Jahrhunderts: Es gibt 2,5 Millionen liberale
Juden. Der Zentralrat geht einen orthodoxen Weg: Er will uns nicht
anerkennen.
Ihr Verband hat gefordert,
dass der Staatsvertrag nicht ohne Sie abgeschlossen werden dürfe.
Jetzt ist er abgeschlossen - ohne Sie.
Man hatte uns versprochen, ein Teil der
Diskussion über den Vertrag zu sein. Jetzt ist er unterschrieben.
Aber wir sehen das Bundesinnenministerium dafür verantwortlich, dass
wir einen Teil der Zuschüsse bekommen, die der Staatsvertrag
vorsieht.
Der Zentralrat sei "nach
seinem Selbstverständnis" für alle Richtungen des Judentums "offen",
heißt es.
Das ist sehr comme ci, comme ça. Es
gibt keine Pflicht, dass wir oder eine andere jüdische Bewegung
etwas bekommen. Wir erwarten, dass nun die so genannten
Einheitsgemeinden im Zentralrat ihre Hände öffnen und uns
berücksichtigen.
Paul Spiegel deutet an, die
Aufnahme liberaler Gemeinden sei schwierig, da viele liberale Juden
von den Religionsgesetzen her keine Juden seien.
Das Judentum ist eine pluralistische
Religion. Nach der Logik Spiegels wären zweieinhalb Millionen Juden
keine Juden, da sie liberal sind. Spiegel betont, er sei
Vorsitzender einer politischen Organisation. Wir unterstützen ihn
darin, absolut. Aber wir sind ein Teil der jüdischen Gemeinschaft,
die er repräsentiert. So sieht es auch die Regierung.
Aber nicht der Zentralrat.
Es ist nicht konsequent, zu bezweifeln,
dass die größte jüdische Bewegung weltweit jüdisch ist, aber von den
70.000 russischsprachigen Juden, die seit fünfzehn Jahren hier
eingewandert sind, seien es alle, da sie Mitglieder der
Einheitsgemeinden sind.
Womöglich werden im Herbst
sieben liberale Gemeinden in den Zentralrat aufgenommen - müsste Ihr
Verband sich dann nicht auflösen, weil Ihr Ziel erreicht ist?
Wer gibt uns die Garantie, dass die
aufgenommen werden? Und wie lange wird das dauern? Wir sind aus
Fleisch und Blut, wir leben heute.
SHMUEL BAHAGON,
49, ist Generalsekretär der Union progressiver Juden in Deutschland
e. V. Der Medienberater lebt seit einem Jahr in Berlin.
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28-01-03 |