"Auf Grund der Taufe bittet er um Änderung seines
prononcierten Vor- und Zunamens...":
Zum Namenswechsel jüdisch-protestantischer
Konvertiten in Wien, 1782 - 1914Von
Anna L. Staudacher, Wien
David Mayer hatte sich 1896 in Wien in der
evangelischen Pfarre Landstraße taufen lassen - "Tonkünstler,
Mitglied des k.k. Hofopern-Orchesters", wurde in das Taufbuch der
Pfarre eingetragen. Bei der Taufe erhielt er den Taufnamen Dionys,
im Jahr 1910, 14 Jahre nach seiner Taufe, stellte er sein Ansuchen
um Namensänderung, um Änderung seines Familiennamens in Martens.
"Mit Rücksicht auf den erfolgten Übertritt zur
christlichen Konfession" hatte David Mayer einen gesetzlichen
Anspruch auf Namensänderung, welcher im Hofkanzleidekret vom 5. Juni
1826 begründet war:
Trat ein Jude zum Christentum über, so konnte er
anläßlich der Taufe auch einen neuen Familiennamen annehmen. Diese
Namensänderung war nicht aufgezwungen, keineswegs verpflichtend -
und der Konvertit war frei in der Wahl seines neuen Namens.
Die Familiennamen
Seit altersher konnten jüdische Konvertiten
anläßlich ihrer Taufe einen anderen Namen, einen Konvertitennamen
annehmen - allgemein üblich war es nicht, auch nicht im 18.
Jahrhundert, vor der Zeit der Emanzipation. Juden, die zum
Protestantismus übertraten, nahmen bis zum Jahr 1868 nur äußerst
selten einen Konvertitennamen an.
Nach dem Jahr 1868 ist es nicht mehr ganz korrekt,
von Konvertitennamen zu sprechen, obgleich der Namenswechsel von
Juden immer noch etwas mit der Taufe zu tun haben konnte, aber nicht
mußte. Ab dem Jahr 1849 entschied das Innenministerium über
Namensänderungen, ab dem Jahr 1866 wurde diese Sache den
Landesstellen übertragen: Hier ging es in erster Linie um Namen, die
den Namensträger dem Spott und Hohn seiner Mitmenschen aussetzten -
es ging hier nicht nur um jüdische Familiennamen. Später, um die
Jahrhundertwende, wollte man einen Namen, der mit dem eigenen
Nationalbewußtsein im Einklang stand. Namensträger mit einem
deutschen Namen, welche z.B. in slawischen Gebieten der Monarchie
ihren Lebensschwerpunkt hatten, wollten nun einen entsprechenden
Namen, der sie nicht mehr als Deutsche, als Fremde, Zugezogene
kenntlich machte, unter diesen befanden sich auch
jüdisch-protestantische Konvertiten. Antisemitismus in Österreich
war den Gesuchen um Namensänderung zufolge zu Beginn der 1880er
Jahre noch kein Thema: Die einen assimilierten sich zum deutschen
Kulturkreis, die andern polonisierten, andere wieder nahmen
slawische und ungarische Namen an: Nichtjuden, Juden und
Konvertiten.
In begründeten Fällen war es nun jedem möglich ein
Gesuch an die Statthalterei um Namensänderung zu stellen - was nicht
bedeutet, daß all diese Gesuche um Namensänderung auch bewilligt
wurden. Ein "berücksichtigungswürdiger Grund" mußte vorliegen,
besser noch ein "besonders berücksichtigungswürdiger Grund", Beweise
mußten vorgelegt werden, Erhebungen wurden gepflogen, ob die
"Gesuchsangaben" auch zutrafen. Nur bei Konvertiten genügte bereits
die Taufe, die Taufe allein galt den Behörden weiterhin, bis zum
Ende der Monarchie, nach dem Hofkanzleidekret von 1826 als
"besonders berücksichtigungswürdiger Grund" für eine Namensänderung,
weitere Gründe brauchten nicht angeführt zu werden: Über die Taufe
konnte auch eine Namensänderung erzwungen werden: Da war doch der
Fall von Dr. Hugo (Kohn) Koerting (1900): Am 6. Februar meldete er
seinen Austritt aus dem Judentum beim Magistratischen Bezirksamt für
den 1. Bezirk an, zwei Tage später ließ er sich in der Stadtpfarre
AB taufen, am übernächsten Tag stellte er sein Gesuch um
Namensänderung an die niederösterreichische Statthalterei, am 17.
Februar urgierte er eine rasche Erledigung seines Ansuchens bis zum
24. d.M., seinem Wunsch wurde entsprochen, mit Statthaltereidekret
vom 22. Februar wurde ihm die Namensänderung in Koerting bewilligt.
Am 23. April meldete er beim Magistrat seinen Austritt aus der
evangelischen Kirche AB und erklärte, zum Judentum zurücktreten zu
wollen. Und Koerting trat zurück, sogleich nachdem man ihm die
Bescheinigung des Magistrates über seine Austrittserklärung aus der
evangelischen Kirche ausgehändigt hatte, noch am selben Tag, am 24.
April. Zum Fin-de-siècle, im antisemitischen Wien der
Jahrhundertwende erschien eine Namensänderung ein möglicher,
verzweifelter Ausweg, der antisemitischen Hetze zu entgehen.
Der Fall Kohn-Koerting stellt sicherlich eine
Ausnahme dar. Es gab jedoch eine Reihe von Gesuchen um
Namensänderungen, welche vorerst in der ersten Instanz, von der
Statthalterei, sodann auch von der zweiten Instanz, vom Ministerium
des Innern, abgelehnt wurden. Man entschloß sich zur Taufe, stellte
ein neuerliches Gesuch um Namensänderung: "Gesuchsteller wurde
bereits einmal abgewiesen", hieß es dann in der
Sachverhaltsdarstellung, "nunmehr ist derselbe zur christlichen
Konfession übergetreten", habe die Taufe nach evangelischem Ritus
angenommen, auf Grund dieses Übertrittes bitte derselbe neuerdings
um Änderung seines prononcierten Zunamens. Im Abstand von wenigen
Wochen, Monaten oder Jahren wurden Gesuche um Namensänderungen
erneuert, mit und ohne Taufe - mit einer Taufe, ganz gleich ob
katholisch oder evangelisch, durchwegs immer mit Erfolg.
Gesuche um Namensänderung, die im Zusammenhang mit
der Taufe standen, brauchten keine weiteren Gründe anführen. Aus
diesen Gesuchen erfahren wir daher zumeist nicht viel über den
Gesuchsteller und seine Motive. Ganz anders hingegen verhält es sich
bei den Gesuchen um Namensänderung, welche von Juden gestellt
wurden, die nicht auf den "besonders berücksichtigungswürdigen
Grund" einer vollzogenen Taufe hinweisen konnten. In diesen Gesuchen
kommt zum Ausdruck, was einfache Leute und Akademiker, Dienstmädchen
und Universitätsdozenten bewogen hat, ihren jüdischen Namen
loszuwerden: Vor allem die unausgesetzten Zurücksetzungen und
Gehässigkeiten, die sie durch ihre Namen auf sich zogen; die Angst,
mit derartigen Namen keinen Arbeitsplatz zu bekommen, oder diesen zu
verlieren. Die künftigen Schwiegereltern, die ihre Tochter nicht
einem "Kohn" oder "Löwy" zur Frau geben wollten. Die Kinder, die
unendlich in der Schule, im Gymnasium unter den Hänseleien ihrer
Mitschüler litten - und immer wieder "Der kleine Kohn" - ein
Gassenhauer und Spottlied auf Juden, mit welchem Namensträger mit
Kohn ganz besonders getroffen wurden.
Eine Flut von Namensänderungsgesuchen von Kohn auf
irgendeinen anderen nicht jüdisch "klingenden" Namen war die Folge.
"Der kleine Kohn" bewirkte ein Umdenken der Behörden, zunächst in
der zweiten Instanz, im Ministerium des Innern: Bis in die 1890er
Jahren war es auch Juden, welche nicht die Taufe zuvor angenommen
hatten, möglich, ihre Namen zu ändern, aber nur solche, welche in
ihrer Bedeutung oder in ihrem Klang als "lächerlich" eingestuft
wurden, nicht jedoch "jüdische" Namen wie Kohn, Löwy oder
Rosenzweig. Berücksichtigungswürdig - auch ohne Taufe - galten der
Behörde Namen, die durch ihre Bedeutung den Namensträger dem Spott
preisgaben, darunter auch jüdische Namen wie Rindskopf. - Emil
Rindskopf war 35 Jahre alt, als er sein Gesuch um Namensänderung
stellte, Beamter der Kaiser Ferdinand-Nordbahn:
"Ich habe in meinem Leben wegen meines Namens
viel Pein und Schmerz ertragen müssen, mein Fortkommen ist
deshalb vielfach gehindet worden. Jeden Tag, jede Stunde wurde
ich daran erinnert, daß ich der Sclave meines Namens bin. Wo und
wann immer ich meinen Namen nenne oder ein Anderer - und mit wie
viel Leuten kommt man in Verkehr und muß man in Verkehr kommen -
ihn zu nennen hat, zeigen sich auf den Gesichtszügen der Anderen
die Kennzeichen bald des Hohnes, bald des Spottes, bald des
Mitleides. Es ist ein förmliches Brandmal, mit dem jemand, der
Rindskopf heißt, im Leben herumläuft. Man vergegenwärtige sich
nur die Situation, in welche ich gerate, wenn ich sagen muß,
'ich heiße Rindskopf' - oder wenn ein anderer mich mit 'Herr
Rindskopf' anredet. Ich habe dieses Brandmal lange genug
getragen."
Als "lächerlich" eingestuft wurden
weiters seit 1890 jüdische Familiennamen auf -eles. So lautete es in
einer Sachverhaltsdarstellung der Niederösterreichischen
Statthalterei:
"Die israelitischen Namen mit der
Endsilbe -eles haben alle einen lächerlichen Klang und sind
geeignet, den Träger dem Spotte auszusetzen, wodurch auch dessen
Fortkommen beeinträchtigt wird. Es erscheint demnach die Bitte
rücksichtswürdig."
Namen wie Karpeles, Fleckeles, Abeles, Falkeles,
Sprintzeles wurden ohne weitere Erörterung geändert: Entweder man
ließ das Suffix ganz einfach weg, aus Abeles wurde Abel, aus
Metzeles Metzl, aus Falkeles machte man Falk und aus Pineles Pinel.
Oder man tauschte einen solchen Namen gegen einen ganz anderen,
Abeles in Althoff, Karpeles in Kühne, Sprintzeles in Springer oder
Jeiteles in Irman, um nur einige Beispiele anzuführen.
Nach der Jahrundertwende, vor dem Ersten
Weltkrieg, wurde jedoch auch zunehmend zugegeben, daß Namen wie Löwy
oder Kohn - ohne an sich eine lächerliche Bedeutung zu haben - bei
bestimmten Berufen faktisch existenzgefährdend waren: bei Lehrern,
Offizieren und leitenden Angestellten, insbesondere in der
Wirtschaft, im Außenhandel. Sigismund, früher Simon Trug war
Leutnant und Bataillons-Adjutant, er stellte sein Ansuchen um
Namensänderung 1893 und gab an, sein Name habe oft Anlaß "zu
unpassenden Bemerkungen" gegeben, "die besonders einen Offizier
zwingen können, für seine hiedurch angegriffene Ehre eintreten zu
müssen" - den Behörden galt dies als ein "besonders
rücksichtswürdiger Grund", zudem hatte Simon Trug neun Jahre zuvor
die Taufe angenommen. Wurde von der Statthalterei ein Gesuch um
Namensänderung abgewiesen, so stand es dem Gesuchsteller frei,
"Rekurs" (Berufung) beim Ministerium des Innern einzulegen, und in
vielen Fällen waren solche Rekurse erfolgreich - worüber sich die
Statthalterei beklagte: Strenge Maßstäbe habe man angewendet,
"nachdem jedoch in den letzten Jahren", nach der Jahrhundertwende,
"in sehr vielen Fällen, welche von der Statthalterei zurückgewiesen
worden waren, die Namensänderung im Rekurswege vom Ministerium des
Innern bewilligt wurde," habe eine mildere Auffassung Platz
gegriffen.
Zur Namensfindung für den Namenswechsel
protestantischer Konvertiten wissen wir sehr wenig, nur ganz selten
wurde in den Gesuchen um Namensänderung eine Erklärung für den der
Behörde vorgeschlagenen Namen gegeben. Auffallend sind Namen, welche
nordisch, britisch oder amerikanisch anmuten, wie Galston, Hooker,
Karsten, Karell, Kerry, Mertens, North, Washington, Stafford und
dgl. mehr. Häufig treffen wir auch auf Vornamen, umfunktioniert zu
Familiennamen: Arnim, Arnold, Dietrich, Friedrich, Herwig, Konrad
usw.: Diese neuen Familiennamen wurden als solche verstanden - nahm
einer einen bestimmten neuen Namen an, entschlossen sich in der
Folge noch andere aus seiner engeren Familie zu einem Namenswechsel,
so optierten sie zumeist für denselben Namen. Nach der
Jahrhundertwende war für die Bewilligung das Faktum, daß zuvor schon
jemand anderem aus der Familie ein Namenswechsel bewilligt worden
war, oft ein "rücksichtswürdiger Grund": Die jüdisch gebliebene
Mutter erhielt den neuen Namen ihrer (getauften) Kinder, Geschwister
den ihres ältesten oder jüngeren Bruders, usw. Zuweilen war man auch
unzufrieden mit dem neuen Namen, und wieder wurde um Namenswechsel
angesucht, wobei man auch näher auf die Gründe einging. wohl
eingehen mußte, weshalb man mit dem neuen Namen nicht zufrieden war.
So knapp auch die Motivation in den Gesuchen um
Namensänderung bei Konvertiten erscheinen mag, nicht verwischt
wurde, auch in diesen Gesuchen das Hauptmotiv - Antisemitismus.
Josef Abeles, Prokurist, hatte im Alter von 32 Jahren die Taufe
angenommen, zwei Jahre später suchte er um Namensänderung an, da der
Name Abeles "einen prononcirt confessionellen Charakter" habe, "der
bei dem, was nicht wegzuleugnen ist, heute herrschenden Vorurtheile"
geeignet sei, sein und seiner Familie Fortkommen zu erschweren.
Nicht der Name an sich war es, der Anstoß erregte, sondern das
Jüdische, woran er erinnerte.
Berühmte Konvertiten, die ihren Namen änderten
Der Prozentsatz an "Prominenten" bei jüdischen
Konvertiten ist generell - entgegen allen Erwartungen - sehr niedrig
anzusetzen - unter 5% bei jenen die zum Protestantismus übergetreten
sind, und bei jenen, die ihren Namen geändert haben, überschreitet
er kaum 10 %.
Unter den Schriftstellern und Journalisten hatten
Karl Colbert, Juliane Déry, Ludwig Karell, Leopold Heinrich Léostér,
Berthold Molden, Alexander von Rosen, Emil Scholl, Oskar
Sonnlechner, Ubald Tartaruga, Heinrich Egon Wallsee und Leo Zamara
ihren Namen geändert. Von den Musikern waren es Marco Frank,
Gottfried Galston, Malvine Kurt und die Brüder Arnold und Eduard
Rosé. Adolf Hirémy-Hirschl war Maler, Ilse Conrat Bildhauerin und
Benedikt Fred Dolbin Karikaturist und Illustrator. Weiters sind zu
nennen die Schauspieler und Regisseure Karl Arnau, Karl Door, Josef
Jarno, Bela Jenbach, Berthold Rosé und Alexander Heinrich Karl
Schulbaur.
Unter den jüdisch-protestantischen Konvertiten,
die ihren Namen änderten, befanden sich namhafte Geistes- und
Naturwissenschaftler: der Kunsthistoriker Max Deri, der
Kulturhistoriker Egon Friedell, die Literaturhistoriker Robert Franz
Arnold, Friedrich Eugen Hirth und Moritz Necker, der Philosoph Oskar
Ewald, der Historiker Julius Lánczy und der Psychologe Wilhelm
Peters. Als Naturwissenschaftler wurden bekannt der Chemiker Albert
Fernau, der Meteorologe Viktor Conrad. Weiters seien hier genannt
Emil Probst (auch: Propst), Betonbautechniker, und von den Ärzten
der Physiologe Walter Kolmer, der Augenarzt Karl Kunn und der
Frauenarzt Hugo Koerting, der sogleich nach dem Namenswechsel wieder
zum Judentum zurückgekehrt ist.
Die Autorin ist Universitätsdozentin an der
Universität
Wien, sowie an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften,
dem Institut ÖBL zugeteilt. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört
u.a. die Geschichte der Juden in Österreich-Ungarn, Jüdische
Konvertiten und Namenskunde (Konvertiten, Findelkinder). Im Verlag
Peter Lang erschien von Anna L. Staudacher:
Wegen jüdischer Religion - Findelhaus. Zwangstaufen in Wien
1816-1868. Frankfurt/M, Berlin, Bern, Bruxelles, New
York, Oxford, Wien 2001.
Teil 1: 496 S., Teil 2: 586 S., zahlr. Abb. und
Tab., ISBN 3-631-35198-4 br.
Jüdische Konvertiten in Wien 1782-1868.
Frankfurt/M, Berlin, Bern, Bruxelles, New
York, Oxford, Wien 2002
Teil 1: 460 S., Teil 2: 732 S., zahlr. Abb. und
Tab., ISBN 3-631-39406-3
br.
Konvertitennamen:
Der Namenswechsel
jüdischer Konvertiten in Wien von 1748 bis 1868
"und ist am 17. Juli 1868 zu seinem väterlichen
Glauben, zum Judentum zurückgekehrt":
Die Rückkehr zum Judentum
in Wien von 1868 bis 1878
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03-02-04 |