Teure
Schulbücher:
Erziehung in Krisenzeiten
Von Richard Chaim
Schneider
Süddeutsche Zeitung v.
06.11.01
Seit Ausbruch der
Al-Aqsa-Intifada vor einem Jahr sind sämtliche
palästinensisch-israelischen Projekte vollständig zum Erliegen gekommen.
Ob im ökonomischen, wissenschaftlichen oder kulturellen Bereich – nichts
geht mehr. Selbst das vom israelischen Außenminister gegründete "Peres
Peace Center", das zahlreiche joint ventures unterhielt, musste seine
Arbeit einstellen.
Umso mehr ist es ein Wunder, dass
kürzlich die neueste Ausgabe des "Palestine-Israel-Journal" erscheinen
konnte, buchstäblich das einzige Projekt, das die beiden verfeindeten
Seiten noch miteinander am Leben erhalten. Die Vierteljahresschrift
wurde 1994 vom dem palästinensischen Journalisten und Abgeordneten Ziad
Abu-Zayyad und dem israelischen Journalisten Victor Cygielman in
Ostjerusalem gegründet. Im "Editorial Board" und im "Board of Sponsors"
findet man zahlreiche Namen aus der Friedensbewegung beider Seiten, die
auch hierzulande ein Begriff sind: Lamis Alami, Ari Rath, Hanan Ashrawi,
Khaled Abu-Aker, David Grossman, Uri Avnery, um nur einige zu nennen.
Das PIJ ist monothematisch, zu jedem Thema werden Journalisten,
Wissenschaftler und Politiker beider Seiten um Beiträge gebeten, die
zusammen ein komplementäres Bild der wichtigsten Probleme des
Nahost-Konflikts bieten. Das Credo der Herausgeber ist dabei weniger,
einen Konsens herbeizuschreiben, als vielmehr durch die
unterschiedlichen Positionen von Israelis und Palästinensern die
Kernpunkte des Konflikts herauszuarbeiten und somit zu ihrer Überwindung
beizutragen.
Die neueste Ausgabe trägt den
Titel "Education in Times of Conflict", "Erziehung in Krisenzeiten", und
beleuchtet die ideologischen und propagandistischen Tendenzen in den
Schulbüchern Israels und der palästinensischen Autonomiebehörde.
In seiner Studie über das Bild
des Arabers in hebräischen Schulbüchern, kommt Daniel Bar-Tal, Professor
für Sozialpsychologie an der Tel Aviv University, zu dem traurigen
Ergebnis, dass vor allem in den ersten beiden Jahrzehnten nach der
Staatsgründung "der Araber" nicht nur als Feind, sondern als primitiv,
ignorant, gewalttätig, fanatisch und minderwertig dargestellt wurde. In
den siebziger Jahren begann dieses Bild allmählich zu bröckeln, bis sich
in den 90er Jahren ein differenziertes Bild zumindest in einigen Büchern
durchsetzen konnte: das palästinensische Nationalbewusstsein wurde jetzt
zum ersten Mal anerkannt, darüber hinaus wurde "der Araber" nicht nur
als Aggressor, sondern immer häufiger auch als Opfer des Konflikts
beschrieben. Dennoch überwiegt nach wie vor die negative Darstellung.
Inzwischen scheint sich die Uhr weiter zurückzudrehen: Die
rechtsgerichtete Erziehungsministerin der Regierung Sharon, Limor
Livnat, hat angekündigt, alle "liberalen" Bücher aus dem Unterricht zu
verbannen, da sie nicht "zionistisch" genug seien.
Nationalstolz für Gedemütigte
Ramzi A.Rihan von der
Bir-Zeit-Universität berichtet von den Schwierigkeiten, ein neues
palästinensisches Curriculum für Grundschulen und die "High School" zu
entwickeln. Das Konzept, das bis 2004 realisiert werden sollte, sieht
einen Lehrplan vor, der pluralistische, demokratische und humanistische
Werte predigt, gleichwohl auf palästinensischen Nationalstolz und
islamischen Glaubensüberzeugungen basiert. Durch den wirtschaftlichen
Zusammenbruch der palästinensischen Autonomiebehörde, können die neuen
Lehrbücher aber nur teilweise hergestellt werden. Somit muss man
weiterhin mit veralteten Textbüchern arbeiten, in denen anti-israelische
Stereotypen keine Seltenheit sind.
Sami Adwan von der Bethlehem
Universität untersuchte die wenigen, neu existierenden Schulbücher und
weist auf die Problematik hin, einen Spagat zwischen Realität und
Anspruch schaffen zu müssen: Die Notwendigkeit, einer gedemütigten
Gesellschaft ein Stück Selbstachtung zu geben, führt automatisch zu
einer Verdammung Israels, selbst wenn man die Kinder mit Respekt und
Achtung vor dem "Anderen" erziehen möchte. Doch, so fragt Adwan, wie
können selbst die wohlwollendsten Lehrpläne den Israeli als anständigen
Menschen darstellen, wenn die palästinensischen Kinder diese nur als
brutale Usurpatoren, als gewalttätige Soldaten oder Siedler erleben?
Haggith Gur-Ziv, die Leiterin des
Zentrums für kritische Pädagogik am Lehrercollege der Kibbutzbewegung,
beklagt, dass auf der israelischen Seite der "Andere" so gut wie ganz
negiert wird, vor allem an Schulen in Jerusalem sei dies zu beobachten.
Pluralismus und offenes Denken sind, zumindest im israelischen
Erziehungswesen, nach wie vor keine Selbstverständlichkeit.
Alle Autoren sind sich einig,
dass es dringend notwendig sei, bereits zu Beginn der Schulzeit Kindern
beider Völker dabei zu helfen, das Feindbild zu dekonstruieren, um
alternative Denkmodelle und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Denn
"Frieden" wird nach wie vor als militärische Kategorie gewertet: Für die
Palästinenser bedeutet es das Erkämpfen eines eigenen Staates, für die
Israelis lediglich die Abwesenheit von Krieg.
Das Palestine-Israel-Journal ist
zu beziehen über:
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hagalil.com / 06-11-2001 |