What do they tell about us -
Was sagen sie über uns ? Von Iris
Noah
In den englischsprachigen
Ländern gibt es im Bereich der "Ethnic Studies" seit einigen Jahren
Diskussionen zur Fragestellung: "What do they tell about us"?
Gemeint ist damit, was Angehörige der Mehrheitskultur ("they") über
Minderheiten ("us") sprechen: Was wird wie erzählt, was wird
verschwiegen, verdrängt und ausgeblendet. Welche Bilder und
Stereotypen über Minderheiten werden weitergegeben? Welche
Machtverhältnisse spiegeln sich in den Darstellungsweisen? In
Deutschland ist diese Debatte über ihre Anfänge noch nicht
hinausgekommen (Bilder von Schwarzen). HaGalil online wird dieser
Fragestellung in einer Serie nachgehen, wobei es naheliegenderweise
um die Darstellung von Juden, jüdischem Leben und jüdischen
Traditionen gehen wird.
Teil 5: Im Kino - Rosenstrasse
An einem Freitagmittag im
November 2002 erhielt das jüdische Onlinemagazin haGalil den Anruf
einer Castingagentur. Für den Film "Rosenstrasse" von Margarethe
Trotta würden am kommenden Montagmorgen orthodoxe Juden gebraucht,
damit die Szene mit dem Schiwe-Sitzen (jüdisches Trauerritual) "so
richtig authentisch rüberkommt". Die Redakteurin erklärt, daß
orthodoxe Juden jetzt nicht erreichbar seien, da in drei Stunden der
Schabbat beginne und diese sich darauf vorbereiteten. Die Anruferin
reagiert unwirsch: "Wenn die Juden so unkooperativ sind - selber
Schuld!"
Diese Szene ist symptomatisch für
das, was aus dem ambitionierten Projekt von Margarethe von Trotta
geworden ist. Es stützt sich auf eine wahre Begebenheit. Im Februar
1943 wurden alle noch in Berlin lebenden jüdischen Zwangsarbeiter
verhaftet. Diejenigen unter ihnen, die mit nicht-jüdischen Partnern
verheiratet sind, werden in ein Verwaltungsgebäude der jüdischen
Gemeinde in der Rosenstrasse unweit des Alexanderplatzes gebracht,
das zum Sammellager umfunktioniert worden ist. Da es sehr viel mehr
gemischte Ehen zwischen jüdischen Männern und nicht-jüdischen Frauen
gibt als umgekehrt, und außerdem die nicht-jüdischen Frauen sich
häufiger nicht zur Scheidung nötigen ließen, waren es überwiegend
Frauen, die in der Rosenstraße standen. Selbst als Maschinengewehre
aufgebaut werden, lassen sie sich nicht einschüchtern. Nach einer
Woche wurden die dort Inhaftierten freigelassen.
Der
Film setzt in New York ein, wo Ruth (Jutta Lampe) um ihren
verstorbenen Mann trauert. Die erwachsene Tochter Hannah (Maria
Schrader) kommt mit den Reaktionen ihrer Mutter nicht zurecht,
besonders gegenüber ihrem zukünftigen nicht-jüdischen Ehemann, der
bis zu diesem Zeitpunkt von der Mutter sehr geschätzt wurde. Ruth
verlangt, er solle verschwinden. Durch den Hinweis einer Verwandten
begibt sich Hannah auf Spurensuche nach Berlin und findet Lena
Fischer, der sie ein rein historisches Forschungsinteresse an
"Mischehen im 3. Reich" vorspiegelt. Lena, die aus einem preußischen
Adelsgeschlecht stammt, hatte 1943 für ihren Mann Fabian protestiert
und war für die achtjährige Ruth, deren Mutter zeitweise in der
Rosenstraße inhaftiert war, aber wegen der Scheidung von ihrem
nicht-jüdischen Ehemann dann doch deportiert wurde, zur Ersatzmutter
geworden und hatte ihr in den folgenden zwei Jahren eine neue
Identität gegeben.
Mit
vielen zeitlichen und örtlichen Sprüngen, zwischen damals und heute,
New York und Berlin versucht der Film unterschiedliche Erzählstränge
zu verweben und verhebt sich, weil sie oft überkonstruiert werden
und in sich nicht stimmig sind: An einem Abend in Berlins besserer
Gesellschaft soll Lena, eine vormals gefeierte Pianistin, ihre
Schaupieler-Freundin Lizzy am Flügel begleiten um dann mit Goebbels
ins Gespräch kommen zu können, und zwar das durch die damals als
"Vaterlandsverräterin" bezeichnete Marlene Dietrich populär
gewordene Lied "ich weiß nicht, wohin ich gehöre", getextet vom
jüdischen Autor Friedrich Hollaender, dessen Werke wie die anderer
jüdischer Künstler ab 1933 verboten waren. Die Feststellung der
alten Lena: "Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen"
macht die Sache auch nicht glaubwürdiger.
Bereits in der Eingangsszene beim
Schiwe-Sitzen, aber auch im weiteren Verlauf werden die gängigen
Stereotypen - Folklore inklusive - dessen, was nicht nur Margarethe
von Trotta für "jüdisch" hält, abgearbeitet bis dahin, dass eine
30tägige Trauerzeit, in der orthodoxe Juden angeblich nicht arbeiten
dürfen, erfunden wird. Die Gleichung in dieser ersten Szene läuft
darauf hinaus: jüdisch religiös ist gleich orthodox ist gleich
rigide und deshalb in der heutigen Zeit unlebbar. Kompetente
Fachberater für jüdische Inhalte hatte man sich durchaus gesucht.
Sie werden nach dem "Requisitenfahrer" im Abspann genannt.
Beim Casting entdeckte "arisch aussehende" Frauen
schauen zu "jüdisch aussehenden" Männern hoch.
Die Rollen der "arischen" Akteure
wurden mit blonden und einigen wenigen brünetten Schauspielern
besetzt. Die "jüdischen" Rollen werden - sofern es sich nicht um
Menschen im Seniorenalter handelt - von dunklen, schwarzhaarigen
Typen gespielt. Per Anzeige im Internet waren dafür von der
Castingagentur "noch FRAUEN zwischen 20 und 45 Jahren (arisches
Aussehen, Naturhaarfarbe/mind. schulterlang) und jüdisch aussehende
MÄNNER und FRAUEN zwischen 20 und 45 Jahren" gesucht worden.
Diejenigen, die sich gegen diese Zuschreibungen und diesen
Sprachgebrauch verwahrten, wurden abgefertigt mit: "Das haben wir
beim Polanski-Film genauso gemacht".
Die Brisanz, die darin besteht,
dass in der Rosenstrasse "arische" Frauen - also "Volksgenossinnen"
den Uniformierten gegenüberstehen und der Spannungsbogen, der daraus
entwickelt werden hätte können, wurde von der Regisseurin
vernachlässigt. Vieles ist sehr geschönt: Kein Dreck und kein
Schweiß. Man stelle sich hunderte von Männern vor, die eine Woche
ohne sanitäre Anlagen zusammengepfercht sind. Sie sind gerade mal
erschöpft, unrasiert und übernächtigt und hatten sogar noch
Matratzen. Der Film ist großenteils geprägt durch eine seltsame
Abwesenheit von Emotionen. Über Gefühle wird sehr viel mehr
gesprochen als dass sie eine filmische Umsetzung erfahren.
Die Täter werden sehr
holzschnittartig dargestellt und nur in Uniform gezeigt. Dieser
Effekt unterstützt zusätzlich ihre Anonymisierung. Auch hier wird
ein in Deutschland gängiger Mechanismus reproduziert: Man
beschäftigt sich mit den Opfern im Detail und personalisiert sie so
weitgehend wie möglich, und gleichzeitig werden die Täter so
weitgehend wie möglich anonymisiert. Hannah kommt keinen Augenblick
auf die Idee nach ihrem nicht-jüdischen Großvater zu suchen und ihn
zu befragen. Er könnte mit der gleichen Wahrscheinlichkeit noch am
Leben sein wie die 90jährige Lena Fischer, aber sie versucht es noch
nicht einmal. Dabei ist diese Fragestellung für sie durchaus
brisant, will sie doch bald einen nicht-jüdischen Partner heiraten.
Als Hannah bereits einige Tage lang
mit Lena gesprochen hat, will diese wissen, woher denn die junge
Frau so gut deutsch könne. Die antwortet: "Meine Mutter ist
Deutsche". Hier trägt das Drehbuch an eine amerikanische Jüdin
Befindlichkeiten heran, wie sie immer wieder von heutigen
nicht-jüdischen Deutschen amerikanischen Juden, deren Eltern aus
Deutschland emigriert sind, gegenüber geäußert werden. Sicherlich
werden in Familien unterschiedliche Inhalte unbewusst weitergegeben.
Wie aber soll die in der Nazizeit geborene Ruth, deren
nicht-jüdischer Vater sich von seiner jüdischen Frau getrennt hat,
sich jemals als "Deutsche" gesehen haben, hat sie sich doch als Kind
permanent anders erlebt als die "deutschen" Kinder ihrer Umgebung,
musste sie doch ihre Haustiere abgeben, einen Stern tragen und eine
neue Identität annehmen, wobei sie als "typisch deutsch" geltende
Namen erst einmal ablehnt und Hannah heißen will. .Die junge Hannah
weiß nichts über ihre Familiengeschichte, weil in ihrer Familie über
Jahrzehnte alles, was mit Deutschland zu tun hatte, als Tabu
behandelt wurde. Alle möglichen anderen Ausreden wären in einer
solchen Situation nahe liegender (Schüleraustausch oder Studienjahr
in Deutschland etc.). Auch hier ist die Geschichte nicht in sich
stimmig. Konstruiert wirken auch solche Satzungetüme wie "Ihr Anruf
hat einen Sturm von Erinnerungen in mir ausgelöst" von Lena Fischer
zu Hannah.
Zum Schluss machen alle mit der
Vergangenheit Frieden: Hannah bringt einen Ring ihrer Mutter, den
Lena in Berlin aufbewahrt hat, nach New York mit, und es wird
Hochzeit gefeiert - mit der entsprechenden jüdischen Folklore
bebildert.
Einige kleine Alltagsszenen sind
sehr berührend: Der Besuch von Artur bei seiner Schwester Lena, die
in ärmlichen Verhältnissen leben muss, was einen scharfen Kontrast
zum Abend in besserer Berliner Gesellschaft bildet und deutlich
macht, unter welch anderen Umständen Lena leben könnte, wenn sie
sich von ihrem jüdischen Mann getrennt hätte. Trotz der
hervorragenden schauspielerischen Leistungen von Katja Riemann,
Jutta Lampe und Jürgen Vogel (Lenas Bruder Artur) ist dieser Film
wenig überzeugend. Margarethe von Trotta ist weit unter ihren
Möglichkeiten geblieben.
Erstveröffentlichung in Jungle
World vom 17. Sept. 2003
Zum Weiterlesen:
Frauenprotest in der Rosenstrasse:
historische Hintergründe, Denkmal, Zeitzeugen
What do they say about us?
Teil 1:
"gehen & sehen" ein Stadtrundgang
Teil 2:
Bei den Pflanzen der Bibel im
botanischen Garten
Teil 3:
Judensonntag - Tag der Judenmission -
Israelsonntag
Teil 4:
Israelsonntag:
Jesus weint über Jerusalem
Teil 6:
Black Atlantic - Schwarze
in Deutschland
hagalil.com
2003-09-19 |